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Die Rückkehr der Königin - Roman

Die Rückkehr der Königin - Roman

Titel: Die Rückkehr der Königin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ihn nicht in die Hände bekommen konnte. Vielleicht würde er das nächste Mal nicht aufpassen, und sie konnte sich umbringen. Dennoch blieb ein seltsames Unbehagen in seinem Hinterkopf. Er wünschte, er würde sich nicht fühlen, als hätte er gerade Keruns heiligen Weihrauch an einem profanen Ort verbrannt.
    Aber all das konnte Kieran irgendwie rational verarbeiten und akzeptieren – es war die Verehrung unterschiedlicher Götter. Der erste wirkliche Schock, das Verstehen, wie sehr Anghara sich durch die Jahre in Kheldrin verändert hatte, kam an dem Morgen, als Anghara das goldene Gewand und die beiden say’yin’en anlegte. Einen Moment lang konnte er sie nur anstarren. Kieran wusste genau, wie Khelsies aussahen, und Anghara glich ihnen überhaupt nicht, sie hatte kein schmales Gesicht und keine goldenen Augen – aber dennoch ... Die Seele, die aus Angharas vertrauten grauen Augen blickte, gehörte einer Fremden. Sie sagte etwas. Ihr Ton war königlich, ihre Sprache bestand aus den harten gutturalen Silben eines fremden Landes.
    »Komm zurück«, bat Kieran nur, und – welch Wunder – es schien zu wirken. Sie blinzelte und hob einen Arm, als sei sie plötzlich verblüfft über die goldene Seide des Ärmels. Als sie ihn wieder anschaute, war es Anghara – seine Anghara, mit weichen, verängstigten Augen. »Ich erinnere mich nicht ...«, begann sie, dann verstummte ihre Stimme.
    »Es ist ja alles gut«, beruhigte er sie. Dann trat er näher und bewunderte die großen Kugeln aus gelbem Bernstein um ihren Hals. »Was bedeuten diese?«
    Er schien intuitiv begriffen zu haben, dass die Kugeln etwas bedeuteten – keinen Moment hatte er sie für reine Schmuckstücke gehalten. Anghara strich über das alte say’yin , das Jezraal ihr bei der Bestallungszermonie geschenkt hatte und erzählte Kieran von Al’haria, seinem Sa’id und der Hariffsippe, die sie wie eine Angehörige aufgenommen hatte. Das ging so weiter – mit Pausen und neuen Erklärungen – den ganzen Tag lang. Anghara begann mit etwas, verfiel in Schweigen, und beendete die Geschichte (oder – wahrscheinlicher – begann eine andere) später. Alle möglichen Dinge, die Kieran nicht gewusst hatte, kamen in diesen verworrenen Geschichten ans Licht, selbst Dinge, von denen sie geglaubt hatte, dass sie es ihm nie erzählen könnte – die schwarze Wüste, Khar’i’id genannt, bekannt auch als das Leere Viertel, und das Orakel, das dort lebte. Der Tod von Gul Qara und sein Testament; das Errichten des neuen Orakels am Meer. Schließlich sogar die Berührung des Flügels eines Gottes und die Gabe, die al’Khur ihr geschenkt hatte. Die Gabe der Wiederbelebung. Vieles kam verworren und verschachtelt heraus, sodass Kieran die Stücke so gut er konnte, zusammensetzen musste – aber eines stach sofort ins Auge – Kheldrin war weit mehr als ein schlichter Zufluchtsort für eine entthronte Königin gewesen. Es war jetzt fest in Anghara verankert, war ein Teil von ihr. Kieran begann zu begreifen, weshalb ihre Unfähigkeit diejenigen zu spüren, die sie trotz allem zu sich gerufen hatte, sie in ihrem Innersten traf. Doch da er aufgrund von Unwissen und Unvermögen machtlos war, wenn es um das Zweite Gesicht ging, konnte er nichts weiter tun, als dazustehen und zuzuschauen, wie sie litt.
    Die Berge waren trostlos und unwirtlich. Wenig wuchs hier, abgesehen von einigen Flechten, die ebenso leblos grau waren wie die Steine, auf denen sie sich festkrallten. Ab und zu versuchte ein tapferer Baum Fuß zu fassen, doch alle waren verkrüppelt und falls sie je grün gewesen waren, dann war das nur noch eine Erinnerung. Alles schien für immer so weiterzugehen. Als Kieran einmal von einer Felsspitze aus ungehindert nach allen Seiten sehen konnte, sank ihm das Herz, denn ringsum sah er nur weitere graue, zerklüftete Berge. Da er nicht wollte, dass Anghara das ebenfalls sah, beeilte er sich weiterzureiten – aber sie wusste Bescheid – irgendwie. Es war einer ihrer guten Tage. Sie war klar und lächelte ihn von ihrem Kamel aus an, genau wie damals in den alten Zeiten.
    »Bist du sicher, dass es hinter diesen Bergen noch etwas anderes gibt?«, fragte er sie und erwiderte ihr Lächeln müde.
    »Wir schaffen es«, erklärte sie und blickte ihn voller Vertrauen an. »Und die Kadun ist ... wunderschön.«
    Ihre Tiere begannen zu leiden, was sie lautstark ausdrückten. Ein Kamel fing an übel zu lahmen, obwohl Kieran keinen Grund dafür entdecken konnte – möglicherweise

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