Die Rückkehr der Königin - Roman
dir schwer zugesetzt. Komm und iss.«
Kieran gehorchte, warf die Decke zurück und verließ gebückt das Zelt. Die Sterne waren hell, standen aber schon tief, beinahe so nah, dass man sie berühren konnte. Einen Moment lang gönnte er sich, sie einfach anzuschauen. Dieser Nachthimmel bezauberte ihn. Nach einer Weile spürte er, wie al’Tamar zurückkam und sich neben ihn stellte.
»Du hast gesagt, dass du aus Shaymir stammst«, begann ai’Tamar. »Gibt es dort in der Wüste keine Sterne?« Es war eine lakonische Frage, nicht ohne eigenartigen Humor. Kieran begriff, dass ihm seine Gefühle offen ins Gesicht geschrieben standen.
»Ich war nicht mehr in Shaymir – nicht mehr in der richtigen Wüste – seit ich ein Kind war«, sagte er und riss seinen Blick von dem glitzernden Himmel los. Plötzlich empfand er eine eigenartige Seelenverwandtschaft mit diesem jungen Mann. »Wenn du in Roisinan nicht hoch oben auf einem Berg oder am Ufer des Meeres bist ... sind die Sterne höher und weiter entfernt. Du kannst nur ihr Spiegelbild im Wasser berühren.«
Kieran bemerkte eine seltsame Sehnsucht in al’Tamars Augen, bevor dieser sie niederschlug und auf den roten Sand zu seinen Füßen blickte. »Du bewunderst unseren Himmel«, sagte er. »Und ich ... ich würde viel darum geben, das Spiegelbild eines Sterns im Wasser zu berühren.«
Es war ein Moment tiefen Verstehens – doch dann war er vorüber, und al’Tamar zeigte aufs Feuer. »Abendessen«, erklärte er. »Komm!«
Kieran folgte ihm gehorsam und setzte sich im Schneidersitz hin. Als sein Gastgeber sich vorwärts beugte, um das flache ungesäuerte Brot herauszuholen, das er auf der Glut gebacken hatte, glitt etwas aus seinem Gewand und pendelte über dem Feuer. Ein say’yin , sehr ähnlich denen, die Anghara trug. Aber bei diesem wechselten sich die schweren Bernsteinkugeln mit Kugeln aus massivem Silber ab, in die Spiralmuster eingraviert waren. Und am Ende ...
Kieran musste zweimal hinschauen, um sicher zu sein, dass der Feuerschein seine Augen nicht narrte und es tatsächlich da war. »Woher hast du das?«, fragte er und griff nach dem königlichen Siegel von Roisinan, das an einer Kheldrini-Kette hing.
Als er sich aufrichtete, waren ai’Tamars Augen ruhig. »Als sie fortging nach Sheriha’drin, hat sie es bei mir zurückgelassen, damit ich es wie versprochen für sie in ein say’yin einarbeite. Sie wusste schon damals, dass sie zurückkommen würde ... und ich trage es seit dem Tag, an dem ich es fertig habe, damit es nicht von unbefugten Augen gesehen wird bis zu dem Tag, den sie wählt, um es zu offenbaren. Und vielleicht war es das ...« In den goldenen Augen spiegelten sich die Flammen des kleinen Feuers. »Ich wusste, dass ihr kommt ... aber nicht, weshalb.« Er blickte zurück zum Zelt, jede Faser seines Leibes sprach von Schmerz. »Ich wusste nicht, dass sie mich braucht ... aber dennoch war ich seit Morgengrauen bei der Klippe und habe auf die Reisende gewartet. Ich war mir sicher, dass sie kommt.«
8
Sie sprachen nicht weiter darüber. Al’Tamar steckte das say’yin mit dem königlichen Siegel wieder unter sein Gewand. Kieran bohrte nicht nach. Wenn nur die Hälfte dessen, was der junge Khelsie sagte, stimmte – verdammt, aber er konnte nicht anders als den Mann so nennen –, dann war das Siegel ein Talisman, ein kleines Wunder für sich; und al’Tamar hatte sich als würdiger Wächter erwiesen.
Auf sonderbare Weise wirkte die Wüste Kheldrins ein weiteres Wunder. Anghara war immer noch nicht sie selbst, keineswegs – es gab lange Stunden, einmal sogar einen ganzen Tag, in denen sie sich auf einer von ihren Gefährten weit entfernten Sphäre aufzuhalten schien. Aber hier im roten Sand der Kadun Khajir’i’id war sie viel öfter klar und ganz bei sich. Kieran war sich nicht sicher, inwieweit das ein Segen war, denn hier in der Wüste lauerten viele Erinnerungen. Sie alle hatten mit dem Zweiten Gesicht zu tun und konnten sie stärker quälen als zuvor. Jedoch schien die Wüste ihr Heilung zu bringen, als sei etwas in der Luft, das sie einatmete. Mit einer Dosis lais-Tee jeden Abend war ihr Schlaf ruhiger und erholsamer, weniger durch Albträume gestört. Für all das war al’Tamar verantwortlich, und Kieran fühlte sich mehr und mehr überflüssig, da er nichts für Anghara tun konnte, nachdem er sie hierher gebracht hatte. Zu al’Tamars Ehre muss gesagt werden, dass er sich bemühte, ihn miteinzubeziehen – aber wenn Anghara in
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