Die Rückkehr der Königin - Roman
gleichzeitig ein scharfer Dorn und Ausdruck von Vertrauen und Zuversicht. Kieran fiel so schnell keine passende Antwort ein. »Außerdem ist es ja nicht meine Idee«, fuhr Anghara fort. »Das Orakel hat mich gewarnt, in der Kristallenen Stadt vorsichtig zu sein, lange bevor ich überhaupt daran gedacht habe, dorthin zu gehen.«
»Du weißt doch überhaupt nichts über diesen Ort«, erklärte Kieran trotzig.
»Das brauche ich nicht«, meinte Anghara. »Ich werde geführt; das bedeutet, dass man mir zeigt, was ich wissen muss.«
Ein scharf umrissener Glanz umgab sie, seit die geflügelte ai’Bre’hinnah ihr in der roten Wüste von Kheldrin ihre Kraft zurückgegeben hatte – es war die furchtlose, unbewusste Arroganz eines Diamanten, der als Zierde für eine königliche Krone geschliffen worden war. Sie hatte sich wie neugeboren gefühlt; deshalb glaubte sie, nichts Böses könne ihr je wieder etwas anhaben. Nie hatte Kieran sich überflüssiger gefühlt – sie sah aus, als würde sie dieses wilde Unterfangen ebenso gern ganz allein durchführen. Seit sie den Moment in der Höhle in der Kadun hatten verstreichen lassen, hatte sich keine weitere Gelegenheit zur Aussprache ergeben. Jetzt, da alles, was sie verloren hatte, ihr wiedergegeben war, schien sie Kieran weiter entfernt als je zuvor. Es war, als hätte man ihm das Bild von ihr, in dem sie ihm am nächsten war, weggenommen; selbst der Name aus der Kindheit, Brynna, gehörte jetzt mehr einer geflügelten Göttin als dem kleinen Mädchen, das Kieran so mühelos hatte lieben können.
Er war wieder ganz auf sich allein gestellt; seine Sinne nicht schärfer als diejenigen, die erwartungsgemäß in der Schmiede seines Trainings geformt worden waren und die Kieran zu dem machten, was er war. Trotz seiner Begegnung mit den verschwundenen Göttern Kheldrins, war er nicht fähiger zu verstehen, was Anghara tat, um ihnen den Weg zu bereiten, als jeder andere erdgebundene Mensch. Irgendwie hatte sie einen verschleiernden Nebel um ihr Boot gewoben. Sie konnte hinausschauen, aber niemand konnte sie darin sehen – und es schien zu funktionieren. Einmal saßen sie nachts in ihrem kleinen Boot und sahen zu, wie zwei große roisinanische Galeeren, Teile von Sifs Streitmacht, in Richtung Kheldrin vorbeiglitten. Angharas Gesicht sprach Bände. Sobald die Schiffe verschwunden waren und keine Gefahr mehr bestand, belauscht zu werden, beeilte sich Kieran die düsteren Schatten in ihren Augen zu vertreiben.
»Wie ai’Jihaar sagte. Die Wüste wird Sifs Feind sein.«
»Aber Sa’alah«, meinte Anghara mit stummer Qual. »Sa’alah ist nicht die Wüste. Und der Sa’ila verhindert ...«
In dieser schweren Stunde beschloss Kieran, Angharas Abenteuer voll und ganz zu unterstützen – Angharas musste aktiv bleiben und durfte sich nicht in düsteren Visionen verlieren. Er zwang sie, über ihre Vorgehensweise nachzudenken, und eine Art Plan zu fassen trotz ihrer Erwartung, dass sich vor ihren Füßen von selbst ein Pfad entfalten würde. So glitten die Tage vorbei, zwischen Planungen und der Notwendigkeit, das kleine Boot zu steuern. Sie kamen nahe genug am Vallensumpf heran, um im frühen Morgennebel die süßliche, verfaulte Verderbtheit zu riechen. Rechts von ihnen lag die größte und naheste Insel des Mabin Archipels als dunkler Fleck auf dem hellen Meer. Eine Zeit lang saß Anghara reglos mitten in dem kleinen Boot. Nur ihre Augen bewegten sich und schossen vom Ufer zur Insel.
»Wir sind zu nahe an zwei Tänzen«, sagte sie zu Kieran, als er sich nach ihrem Befinden erkundigte. »In mir ist etwas, das dem Ruf beider antworten will und das mich entzweireißt ...«
»Ich dachte, die alten Götter seien gegangen.«
»Sie waren schon lange fort aus Roisinan«, erklärte Anghara. »Aber die Tänze ... diese Steinkreise gehören zu etwas anderem. Sie werden immer ein Ort der Macht sein. Ich kann nichts dafür; die Gegenwart eines Stehenden Steines spüre ich wie ein Messer in mir. Es ist wie der Geruch von Räucherstäbchen. Sie erinnern mich ... an alles.«
»Wie Wüstensalbei«, hatte Kieran gemurmelt.
Sie fragte nicht, was er damit meinte, und er sprach nicht weiter darüber. Schon bald ließen sie die Insel hinter sich, und die Tänze entließen Anghara aus ihrem Bann. Die Moore des Vallensumpfs gingen in Grasland über, dann rauschte dunkler, üppiger Wald am Ufer. Zuweilen sahen sie kleine Tiere wie Schatten im flachen Wasser schwimmen. Das lärmende Geschrei einer
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