Die Rueckkehr der Phaetonen
an Ihrer Stelle würde viel stärker erschüttert sein.«
»Das ist nur, weil Sie nicht vom Leben abgehärtet wurden«, erwiderte Wolgin. »Aber Sie irren sich, wenn Sie denken, Ihre Erzählung hätte keinen Eindruck auf mich gemacht. Ihre Worte haben mich zutiefst erschüttert, aber in diesen drei Stunden habe ich mich wieder beruhigen können. Zu meiner Zeit war das Leben eine harte Schule ... jetzt ist es offenbar nicht mehr der Fall. Es gibt nichts, das euch bedroht, und auch nichts, das den ruhigen Fluss eures Lebens verändern könnte. Ich spreche nicht von Ihnen beiden, sondern vom Leben der gesamten Menschheit. Not, Hunger, Krankheiten, Kriege, plötzlicher Tod - all das, womit die Menschheit Jahrhunderte lang zu kämpfen hatte, ist Ihnen wahrscheinlich nicht mehr bekannt.«
»Sie haben Recht und Unrecht, Dmitrij. Das, was Sie da eben aufgezählt haben, bedroht uns tatsächlich nicht mehr. Aber der Kampf gegen die Natur ist noch lange nicht zu Ende. Wenn Sie unser Leben näher kennen lernen, werden Sie sehen, dass wir noch lange nicht so friedlich leben, wie Sie nach meiner Erzählung vielleicht denken. Aber unsere Sorgen und Unannehmlichkeiten sind nicht dieselben, die Ihre Zeitgenossen hatten.«
»Das ist zweifellos vollkommen gesetzmäßig«, sagte Wolgin. »Und nun möchte ich aus diesem Raum gehen und Ihre Welt sehen. Ich hoffe, dass Sie sich nach diesem Gespräch wieder beruhigt haben und nicht mehr mit Ihrem Gewissen kämpfen müssen. Sie haben zehn Jahre Ihres Lebens geopfert, um mir meines zurückzugeben. Wie kann ich das denn nicht schätzen?«
Er streckte die Hand aus, und Lucius ergriff sie stürmisch. »Ich danke Ihnen, Dmitrij!«, sagte er. »Sie haben eine große Last von mir genommen. In all den Jahrhunderten haben sich die Menschen daran gewöhnt, den freien Willen am meisten zu respektieren - und das Bewusstsein, dass wir ohne Ihre Zustimmung über Sie verfügten, bedrückte mich sehr, trotz der Entscheidung, die vom Rat getroffen wurde.«
»Ich verstehe Sie schon. Zu meiner Zeit dachten die Menschen nur bei uns in der Sowjetunion an die anderen. Jetzt ist es offenbar auf der ganzen Erde so. So musste es auch geschehen - das wussten wir schon damals, im zwanzigsten Jahrhundert. Ich bin glücklich darüber, dass die Geschichte genau den Weg gegangen ist, an dem wir nicht gezweifelt haben. Hat es eigentlich noch Kriege nach meinem Tod gegeben?«
Lucius grinste. Er sah voller Freude, dass Wolgins Gesicht seine steinerne Unbeweglichkeit verlor und ein wenig lebhafter wurde, und erwiderte belustigt: »Ihre Fragen, Dmitrij, scheinen ja gar kein Ende zu haben. So werden wir nie hier raus gehen können. Ziehen Sie sich an und verlassen Sie diesen Raum, der Ihnen sicher längst überdrüssig ist. Mit der Zeit erfahren Sie alles, und zwar von den Menschen, die viel mehr wissen als ich. Jeder Wissenschaftler wäre froh, Ihnen alles zu erzählen, was Sie wissen wollen. Die gesamte Menschheit erwartet Sie voller Ungeduld - Sie sind jetzt der berühmteste Mensch auf der Erde.«
Wolgin musste unwillkürlich lachen. Zu seinem Erstaunen waren Lucius’ Worte für ihn überhaupt nicht unangenehm. >Ich bin gespannt, ob die Menschen immer noch ihre Eitelkeit haben<, dachte er. >Wenn man aber bedenkt, dass die Nachnamen aus ihrem Umgang verschwunden sind, dann wohl kaum.<
Er zog sich schnell an. Zufällig fiel sein Blick auf die deutlich sichtbare Narbe an seiner linken Brustseite. Diese Narbe, die früher nicht da gewesen war, interessierte ihn schon seit langem, aber Lucius weigerte sich jedes Mal, seine Fragen darüber zu beantworten. »Können Sie mir vielleicht jetzt erklären«, fragte Wolgin, »woher ich diese Narbe habe?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich Ihnen jetzt jede Frage beantworten werde, zu dessen Beantwortung ich imstande bin. Das ist die Spur einer Operation, die bald verschwinden wird. Sie lagen eineinhalb Jahre ohne Ihr Herz da - Io hat es von Ihrem restlichen Körper getrennt restauriert.« Lucius sagte es absolut ruhig, so, als wäre nichts Besonderes dabei, aber Wolgin stockte plötzlich der Atem. Die Unermesslichkeit des Abgrunds, der diese Welt von seiner eigenen trennte, wurde ihm plötzlich schlagartig bewusst. >Ich müsste mich an so etwas gewöhnen<, dachte er. >Das, was im zwanzigsten Jahrhundert als undenkbar erschien, ist jetzt einfach und natürlich. Solche Überraschungen wird es immer wieder geben.<
Als Wolgin mit dem Anziehen fertig war, sah er in den
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