Die Rueckkehr der Phaetonen
Wissenschaft ist noch nicht soweit.«
Wenn sich Wolgin an diese Worte erinnerte, musste er unwillkürlich lächeln. »Unsere Wissenschaft ist noch nicht soweit...« In einer Welt, in der aus Wolgins Sicht alles die Höchstgrenze der Vollkommenheit erreicht zu haben schien, klang dieser Satz mehr als seltsam.
»Es gibt keine Höchstgrenze«, hatte Muncius darauf geantwortet. »Die Wissenschaft kann gar nicht begrenzt werden.«
»Ja, schon«, hatte Wolgin zugegeben. »Aber dennoch. Wenn man sich zum Beispiel den Aref ansieht...«
Seitdem Wolgin in Muncius’ Haus gebracht worden war, hatte es sich kein einziges Mal mehr in dieses wundersame Fluggerät gesetzt, das mit den Flugzeugen aus seiner Zeit nichts mehr gemeinsam hatte. Welche Kraft gab dem Aref die Möglichkeit, unbeweglich in der Luft zu schweben, so als würde er die Gesetze der Schwerkraft einfach nur auslachen? Was verlieh ihm diese unvorstellbare Geschwindigkeit, hatten sie doch damals die Strecke zwischen Zypern und der Südküste Frankreichs in weniger als vierzig Minuten zurücklegen können? Das Wort »Aref« wies zwar darauf hin, dass diese Kraft »atomar-reaktiv« war, aber Muncius hatte einmal gesagt, dass der Name des Fliegers keineswegs seinem heutigen Funktionsprinzip entsprach, sondern einfach nur die Zeit überdauert hatte. Als Wolgin nach diesem Funktionsprinzip gefragt hatte, hörte er wieder das unbekannte Wort »Kathron« und musste aufgeben.
Die Steuerung des Fliegers war ebenso rätselhaft. Zwar hatte Lucius während des Fluges vom Zypern erklärt, dass der Aref mit Hilfe von Bioströmen gesteuert würde, aber aus dieser so genannten Erklärung war Wolgin nicht wirklich schlau geworden. Erst jetzt, nachdem vier Monate vergangen waren, begann er sich ein wenig an die Macht der Biotechnik zu gewöhnen, die ihn überall umgab und im gesamten Haus, in dem er wohnte, anzutreffen war. Langsam fing er an zu verstehen, dass die Energie der Kathronen und die Biostromsteuerung die Grundlage für die gesamte moderne Technik bildeten.
3
Wolgin legte das Buch zur Seite und ging die Terrassenstufen hinunter. Die gerade Allee, die an beiden Seiten mit Blumengärten umsäumt war, führte vom Haus zum Meeresstrand. Die dichten Baumäste verflochten sich über dieser Allee und bildeten eine grüne Deckenwölbung. Das Meer selbst schien eine dunkelblaue Wand zu sein, die den Alleenausgang versperrte und fast unmerklich in die Bläue des Himmels überging.
Wolgin beschloss, ein wenig schwimmen zu gehen, weil der Tag sehr heiß war.
Sobald er aus der Allee heraus gegangen war, erstreckte sich die gesamte dunkelblaue Ferne vor ihm. Wolgin ging ans Wasser und sah in die Ferne.
Die unermessliche Weite des Meeres erstreckte sich wie eine endlose glitzernde Ebene vor ihm. Der heiße südliche Himmel vergoss Ströme warmer Luft. Diese Küste war nach wie vor wunderschön, diese Perle des ehemaligen Frankreichs — die gesegnete Riviera. Wolgin erinnerte sich, wie er einmal aus Paris hierher gekommen war. Damals erstreckte sich eine endlose Linie luxuriöser Hotels und Privatvillen über diese Küste, die jetzt ein einziger Garten zu sein schien.
Zweitausend Jahre waren vergangen!
Wo war die ehemalige Riviera di Ponente geblieben?
Das subtropische Grün trat fast ans Wasser heran. In kleinen Häusern, die sich in diesem Grün versteckten, lebten Wissenschaftler, die in den Lehrbe-trieben arbeiteten, die an den Stellen des ehemaligen Nizza und Menton waren. Von diesen Städten war auch nichts mehr da ...
Wolgin schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne. Und plötzlich schien es ihm, als wäre alles, was mit ihm passiert war — seine Krankheit, sein Tod, seine Wiedergeburt — nur ein Traum, eine Kapriole seines Verstandes, die schnell wieder vergangen war, nichts als eine Halluzination. Jetzt würde er die Augen öffnen und die Wirklichkeit würde wieder ihren Platz einnehmen. Er würde die ehemalige Riviera sehen, schick angezogene Menschen und weiße Segel der Yachten, und die mehrsprachige Unterhaltung der Menschenmenge hören ... Die Rückkehr in die Vergangenheit schien so real, dass Wolgin wieder genau wie damals, an einem längst vergangenen Tag seines Lebens, den tiefsitzenden Ärger verspürte. Nur reiche Geldsäcke mit vollen Taschen konnten ihre Wintersaison hier verbringen, nur sie konnten an die schönen Strände gehen, im sanften warmen Meer schwimmen und den feinen Komfort dieses Kurortes genießen. Für die Menschen der
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