Die Rückkehr der Templerin
diesem Anblick ein eisiges Frösteln. Die Tempelritter nannten sich nicht umsonst Soldaten Christi. Sie waren Krieger, Männer der Waffen und der Gewalt. Und dennoch erschien ihr die brachiale Symbolik des Anblickes in diesem Moment fast gotteslästerlich.
»Lasset uns die Prima, die erste Stunde des neuen Tages, die Stunde des Sonnenaufganges, in feierlichem Gebet begrüßen«, unterbrach Dariusz die fast feierliche Stille, die in der kleinen Kirche herrschte.
Robin, aber Dariusz nicht mitgezählt, waren sie zu zwölft; alle anderen Mitglieder der kleinen Armee, die in Tyros angekommen war, waren nur Waffenknechte oder weltliche Ritter. Zwölf Männer, dachte Robin, so wie einst Jesus von zwölf Jüngern begleitet worden war, und ebenso wie er befanden sie sich auf dem Weg nach Galiläa, wo auch der Heiland einst seine Jünger um sich selbst versammelt hatte. Seltsam, dachte sie, welche fast fremdartigen Gedanken ihr plötzlich durch den Kopf schossen. Noch vor einer Woche hätte sie die bloße Vorstellung, so etwas zu denken, in schallendes Gelächter ausbrechen lassen. Aber diese Woche lag nicht nur geraume Zeit, sondern ein ganzes Leben zurück.
»Pater noster …« Robin betete leise das Vaterunser nach, das Dariusz vorgab, und das Echo der anderen Stimmen klang zwölffach in ihren Ohren nach. Die Tempelritter knieten in einem Halbrund um den Altar, ihre Helme neben sich auf dem Boden, die Köpfe in tiefer Ergebenheit geneigt, und vielleicht war es einfach die Monotonie der Worte, vermengt mit ihrer noch immer nicht ganz überwundenen Müdigkeit und der Schwere ihrer Glieder, die sie die fast magische Kraft dieses Gebetes spüren ließ. Dreizehnmal wiederholten die Ritter das Vaterunser, um ihre Schuld zu begleichen. Dariusz hatte auf die Gebete zur Mitternacht verzichtet, damit sie zumindest ein Minimum an Schlaf bekamen, um Kräfte für den nächsten Tag zu sammeln. In Kriegszeiten war es den Rittern des Ordens gestattet, das nächtliche Gebet ausfallen zu lassen.
Nachdem Robin das dreizehnte Vaterunser gesprochen hatte, verharrten sie alle noch einen Moment still und mit gesenkten Köpfen, und Dariusz gab ihnen Zeit für ein persönliches, stummes Gebet. Robin betete nicht. Sie dachte an Salim, aber die Kraft und Zuversicht, die ihr diese Gedanken spenden sollten, kehrten nicht ein. Vorhin hatte sie geglaubt, in dem Schatten draußen Salim zu erkennen, nun musste sie sich voller Schrecken eingestehen, dass es einer bewussten Anstrengung bedurfte, sich überhaupt an sein Gesicht zu erinnern. Sie war fast dankbar, als Dariusz sich als Erster erhob und damit das Zeichen für die anderen gab, es ihm gleichzutun.
Über den Gipfeln des Libanongebirges erschien ein erster, grauer Schimmer, als sie die Kirche verließen. Der erste Gruß des neuen Tages, noch vor dem Morgenrot. Schweigend begaben sie sich zurück zu dem Turm, in dem sie übernachtet hatten.
5. KAPITEL
Robins Magen knurrte vernehmlich, und der Mann, der neben ihr ging, warf ihr einen raschen, spöttischen Blick zu, in dem sie aber auch eine schwache Spur von Mitgefühl zu erkennen glaubte, das er für den jungen Ritter zu empfinden schien. Sie war ihm sehr dankbar dafür, auch wenn sie so tat, als hätte sie seinen Blick nicht einmal bemerkt. Nach allem, was sie verloren hatte, erschienen ihr solche kleinen Gesten, denen sie zuvor vermutlich nicht einmal Beachtung geschenkt hätte, mit einem Male ungeheuer kostbar. Zugleich war sie zornig auf ihren eigenen Körper, der ihre Schwäche so überdeutlich verriet. Sie war es gewohnt, bis nach Sonnenaufgang zu schlafen, in einem weichen, nach Rosenwasser und anderen kostbaren Essenzen duftenden Bett zu erwachen und eine gedeckte Frühstückstafel vorzufinden, die in ihrer Heimat eines Königs würdig gewesen wäre. Die erste Mahlzeit, die sie an diesem Tag bekommen würde, lag noch Stunden entfernt, und sie würde aus nichts anderem als dem warmen Wasser aus ihren Schläuchen und vielleicht einem Stück Brot und, mit viel Glück, einem schmalen Streifen gesalzenen Fleisches bestehen; gerade genug, um ihren Hunger richtig anzufachen, aber keinesfalls, um ihn zu stillen. Aber das war keineswegs ihre größte Qual. Obwohl der Tag noch nicht einmal begonnen hatte, war sie schon jetzt durstig. Ihre Lippen waren längst spröde geworden und aufgeplatzt, und ihre Kehle fühlte sich so rau und ausgedörrt an wie der Boden, über den sie seit fünf Tagen ritten. Zumindest die Mühe, die Pferde zu satteln,
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