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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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– London, Liverpool, Boston – und an die neuen – Luton, Sydney, Düsseldorf. Wer geblieben war, sah ein Land, in dem die Toten wandelten – bis auch sie starben.
    Ich wusste das, aber es ging mir nicht nah. Nicht 1980, während ich meiner Frau beim Sterben zusah. In den letzten Jahren vor meinem Ruhestand hatte ich Spritzen auf dem Schulhof gefunden, nachts über die Mauer geworfen oder von Geistern benutzt, die über die Mauer geklettert waren. Ich wusste, dass es so was gab. Ich wusste, wie Junkies aussahen. Ich kannte mich aus, ich hatte sie erlebt, als ich mit Louis Armstrong unterwegs gewesen war. Aber das waren Jazzer gewesen, irritierend und trostlos anzusehen, aber nie eine große Menge, nie eine ganze Generation. Genug für einen Klub, aber nicht für die Welt. Die Kids in Dublin waren grau. Und gelb. Kinder, die ich auf dem Schulhof hatte rumrennen sehen, deren Mütter ich am liebsten gepackt und geknutscht hätte. Uralte Teenager, mit Anfang zwanzig schon Wracks. Sie belegten die Ecken mit Beschlag, die ihre Väter noch nicht vereinnahmt hatten, während ihre Mütter arbeiten gingen und jetzt nur noch lachten, wenn sie sich beweisen mussten, dass sie noch lebten.
    Ich sah – und übersah – die Jungs und dann die Mädels. Mal spindeldürr, mal aufgeschwemmt, in der gleichen Woche mal schwabbelig, mal spindeldürr. Im Gesicht Spuren der Mütter, schöner Frauen, die jede Hoffnung verloren hatten. Bekiffte Mädels, die Kinderwagen schoben und viel zu früh Frauen zu Großmüttern machten, Frauen, die ich von der sicheren Seite des Schultors aus angehimmelt hatte. Ich sah es, wenn ich auf den Bus wartete, und fand: Es war schlimmer als zu der Zeit, als ich der junge hungrige König von Dublins Straßenecken gewesen war. Damals war die Armut etwas Natürliches, aber jetzt war sie schlicht und einfach grausam.
    Aber ich kümmerte mich nicht drum. Ich konnte es nicht.
    – Weißt du, was mir leid tut, Hauptmann?
    Ich schaute täglich bei Ivan vorbei.
    – Was?
    – Der Tag, als ich
Scheiß auf Gott
gesagt habe. Du erinnerst dich?
    – Ja. Ich hab sie’s alle sagen lassen.
    – Kann sein, aber ich erinnere mich, wie ich es gesagt habe. Gebrüllt. Hoch hinauf in den verdammten Himmel. Und hier lieg ich jetzt.
    – Es gibt keinen Gott, Ivan.
    – Vielleicht nicht für dich. Aber für mich und meinesgleichen müsste es einen geben. Ist doch sonst alles sinnlos, wenn er nicht da oben sitzt und wartet. Mit dem Kontobuch in der Hand.
    – Vielleicht hast du recht.
    – Ich werd ihm sagen, dass du mich dazu angestiftet hast, Hauptmann.
    – Ich hab nichts dagegen.
    – Es stimmt aber.
    – Ich weiß.
    – Wie geht es ihr? fragte er.
    – Unverändert.
    – Schwer zu glauben, dass sie einfach so daliegt und nichts vorhat.
    – Stimmt.
    – Und die Kleine?
    – Die Kleine ist sechzig, Ivan.
    – Ich wünschte, ich wär noch mal sechzig. Und du?
    – Ich bin ganz zufrieden.
    – Schwindler. Du wärst doch liebend gern wieder jung. Ist sie da? Die Kleine?
    – Nein, sagte ich.
    – Zurückgefahren?
    – Ja, sagte ich. – Sie ist wieder zu Hause.
    Aber sicher wusste ich das nicht.
    Zwei Mann blockierten die Tür.
    – Rein mit dir, sagte der eine.
    Dubliner Zungenschlag – aber keiner von den Dubliner Jungs, die ich kannte, auch wenn mir irgendwas an ihm bekannt vorkam – die Art, wie er die ganze Küche beanspruchte, wie er mit seinen breiten Schultern bis in die hinterste Ecke reichte.
    Sie waren jetzt beide im Haus und hatten die Tür leise zugemacht.
    – Wollen Sie sich setzen? fragte der andere.
    Einer vom Land, der erst neuerdings Fett angesetzt hatte. Er war von westlich und südlich des Shannon nach Dublin gekommen, ich war mit dem Rad durch die Gemeinde seiner Großmutter gefahren.
    Diese Männer machten mir keine Angst. Ich war vorbereitet. Mein Herz war in Ordnung. Meine Lunge auch.
    – Nein, geht schon, sagte ich.
    – Kann eine Weile dauern, sagte der vom Land.
    Bei ihm tippte ich auf North Clare mit fünf, sechs Jahren Erfahrung in Dublin. Ein Rattenkopf auf einem Bärenleib. Ich guckte mir noch mal den anderen an. Sie machten einen aufgeweckten Eindruck, wirkten nicht dumpf oder träge.
    – Also gut, sagte ich. – Dann setz ich mich mal.
    – Na also.
    Ich setzte mich auf einen der harten Stühle am Tisch. Es waren nur zwei da, der dicke Dubliner nahm den anderen. Der Mann aus Clare blieb stehen, wir standen Schuhspitze an Schuhspitze.
    Für Berufsrevolutionäre waren sie schlecht angezogen.

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