Die Rueckkehr des Henry Smart
sagen.
– Würdest mir einen Gefallen tun, wenn du ein bisschen nachhelfen könntest.
– Ich hab dir noch nie einen Gefallen getan, und so soll’s auch bleiben.
– Du trägst mir nichts nach?
– Nein, sagte ich.
– Nichts für ungut, was?
– Genau.
– Du hast das gute Aussehen, Hauptmann, aber ich hab das Land gekriegt.
Ich zuckte die Schultern oder versuchte es wenigstens.
– Das Land hast du immer noch.
– Und dass du gut ausgesehen hast, ist schon viele Monde her. Geht an sein Gesicht ran, Jungs, hab ich immer gesagt. Macht ihn hässlich.
Er war immer noch Ivan.
– Und nichts für ungut.
Ich sah, wie sie seine Schulter tätschelte.
– Nein. Gut, dich zu sehen.
Ich schaute ihn an, aber ich sprach mit ihr.
– Ich wünschte, das wär schon vor Jahren passiert, Ivan.
– Ach ja?
– Yeah. Aber besser spät als nie. Jetzt hab ich noch Zeit, mich zu bedanken.
– Wofür?
– Dass du dich um meine Familie gekümmert hast.
– Klar, gehörst doch auch selber zur Familie, Hauptmann.
– Und du hast versucht, mich umzubringen.
– Für Irland, sagte er. – Alles für Irland.
– Hat es sich gelohnt?
– Klar. Schau uns doch an.
Ich sah zwei Menschen beim Sterben zu, die dieses Land geschaffen hatten. Das Land draußen war schon tot. Die meiste Zeit war ich im Pflegeheim oder auf dem Hin- oder Rückweg, aber was meine Augen mich zu sehen zwangen, konnte ich nicht ignorieren.
In Ratheen war man seit jeher zu Fuß gegangen, aber früher waren es alte Männer und junge Mütter gewesen, die sich oder ihre Kinderwagen über die Straße schoben, die Zeit totschlugen, bis es ans Sterben ging oder die Schulglocke ihre Kinder befreite. Um die Alten hatte ich immer einen Bogen gemacht, aber die Mütter waren toll: Frauen, die Zeit hatten, die mit drei und vier Kindern noch jung waren. An ihnen und ihren Kids bemaß sich mein Erfolg. Ich hatte das Land geschaffen, das sie ernährte – ich und Ivan und Miss O’Shea. Diese hübschen Mädels, die Hosen trugen und beim Lachen den Kopf zurückwarfen, bekreuzigten sich, wenn sie an der großen Kirche vorbeikamen, aber sie dachten nicht daran, sich zu ducken oder zu verstecken. Im Sommer wurde ich wieder jung, wenn sie sich schwatzend und lachend am Schultor versammelten. Der Duft müßiger Irinnen – das war mein Sieg.
Mit den Alten war es nicht anders. Als ich zur Welt kam, als alles anfing, war man mit vierzig alt. Meine Eltern hatten nicht mal das geschafft. Männer und Frauen, die mit über vierzig noch arbeiteten, wünschten sich oft, sie hätten dieses Alter nicht erreicht. Verkrüppelt, zahnlos, mit zerstörten Lungen sogen sie die Dubliner Luft ein und hofften auf das Ende, auch wenn sie sich dagegen wehrten. Als ich zurückkam, war das anders geworden. Vierzigjährige Frauen waren vital und handfest und hatten noch Jahrzehnte voller Sex und Verrücktheiten vor sich. Und alt war jetzt richtig alt. Männer konnten mit sechzig und siebzig noch laufen und mit achtzig rohe Möhren kauen. Ich machte einen Bogen um die Alten, aber ich mochte sie. Sie hatten ihre Rente und waren einigermaßen gesund. Sie waren wandelnde Erfolgsgeschichten, und die hatte ich geschrieben und freute mich heimlich an dem Werk, das täglich an mir vorbeihumpelte. Ich setzte meine Unterschrift auf die jungen Hintern und auf die alten.
Beste Wünsche von Henry Smart.
Aber dann änderte sich das. Nicht plötzlich, aber eine Weile – jahrelang – wollte ich es nicht sehen. Zu den üblichen Fußgängern kamen Männer, die ich noch nie gesehen hatte, weil sie bei der Arbeit gewesen waren, die Maurer, die Verputzer, die jungen Leute in den Büros. Es wurde nicht mehr gebaut, es gab keine neuen Büros. Die Arbeiter schlugen die Zeit tot.
Sie liefen nicht, sie standen herum – vor dem Buchmacher, vor dem Pub, vor der neuen Bibliothek. Drehten allem den Rücken, hatten nichts Eigenes mehr. Sie blieben auf der Straße, bis sie nach Hause konnten. Und jetzt, wo ihre Männer die Straße übernommen hatten, blieben die Frauen tagsüber zu Hause – und wurden alt. Sie konnten nicht ausgehen, solange ihre Männer die Zeit mit Nichtstun verbrachten. Sie konnten nicht lachen, wenn sie sich ums Essen sorgen und sich fragen mussten, woher das Geld kommen sollte. Sie sorgten sich um ihre Männer. Sie sorgten sich um ihre Kinder. Das Land wurde, wie es früher gewesen war, nahm den Jungen die Luft zum Atmen. Die Kinder gingen weg, oder sie blieben. Sie gingen an die altbekannten Orte
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