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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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erkannte Bill, Fords Fahrer – er war der Schatten, der über meine Beine fiel.
    – Wie lange diesmal?
    – Weiß nicht, Mister Smart.
    – Wieso nicht?
    – Weiß nicht, wie lange es gedauert hat, bis Mister Ford gesagt hat, ich soll Sie holen.
    Ich saß auf einer Bank.
    Es war keine Bank. Es war eine niedrige Betonmauer am Rande eines staubigen Parks.
    Es war heiß.
    – Wie lange haben Sie gesucht?
    – Sechs Tage, sagte er. – Sieben vielleicht.
    – Muss ein Rekord sein.
    – Ich glaube, das hier zählt nicht, Mister Smart, sagte er.
    – Warum nicht?
    – Ich glaube, dass Sie sich diesmal nicht versteckt haben. Diesmal haben Sie sich verlaufen.
    – Könnte stimmen, sagte ich.
    Aber es stimmte nicht. Zugegeben, ich hatte keine Ahnung, wo ich war oder wann ich zum letzten Mal Wochentag und Datum gewusst hatte. Ich tastete über mein Kinn und fasste in Barthaare, kam nicht bis auf die Haut. Ich war weg gewesen, aber ich hatte mich nicht verlaufen. Ich hatte auf der Vortreppe gesessen, neben meiner Mutter, hatte zu den Sternen aufgesehen, zu meinen toten Brüdern und den anderen. Ich war barfuß durch die Straßen von Dublin gelaufen. Ich war vor Granny Nash weggerannt.
    Ich machte mein Hemd auf. Es war dreckig, und ich stank. Ich sah auf meine Brust runter. Suchte in dem grauen Filz nach dem blauen Fleck, den ich dem Finger von Granny Nash verdankte. Ich fand ihn nicht. Aber den Stoß spürte ich noch.
    Bill hatte eine Hand unter meinen Arm gelegt, und ich stand auf.
    – Ab geht’s, Mister Smart, sagte er.
    – Wohin?
    – Zurück zu Ihren Wurzeln.
    – Scheiße, sagte ich. – Dublin?
    – Nein, Sir. Monument Valley.
    Wo das war, wusste ich. Da hatte mich Henry Fonda zum ersten Mal gefunden, im Dreck.
    – Ich möcht mich waschen, sagte ich. – Und rasieren.
    – Geht klar.
    Ich war durch Dublin gelaufen. Ich war im Untergrund gewesen, in den Flüssen und Abwasserkanälen, mit meinem Vater und allein. Ich sah auf das Bein und den Schuh herunter. Beide waren dreckig, aber heil. Ohne Wasserflecken auf Leder oder Holz. Aber in meinen Ohren dröhnten noch die Worte aus dem Untergrund der Stadt.
    Ich fuhr mit der Hand über Kopfhaut und Nacken. Die Haut war rau und trocken, sie löste sich unter meinen Fingern. Ich sah mich um, konnte aber meinen Fedora nirgends entdecken.
    – Hab ich noch das Zimmer? fragte ich.
    – Ich denke schon, sagte Bill.
    – Die Miete?
    – Ist geregelt.
    Ich war zu Hause gewesen. Während mein Bart wuchs und mein Kopf verkrustete, war ich nach Dublin gegangen. Ich hatte mit meiner Mutter auf der Vortreppe gesessen, auf allen Treppen. Ich war auf meiner Mutter rumgekrabbelt, hatte mir einen Platz auf ihrem Schoß gesucht, zwischen meinen Geschwistern.
    Ich blieb stehen. Bill wartete, er zog mich nicht am Ärmel.
    Ich versuchte, mich an die Namen der Geschwister zu erinnern. Und die der Toten, die dem ersten, dem wahren Henry im Himmel Gesellschaft leisteten. Mädchen und Jungen, jedes Jahr eins oder einer, jahrelang – aber ich sah keinen vor mir. Und erinnerte mich nur an einen Namen.
    – Victor, sagte ich.
    – Mister Smart?
    – Victor, sagte ich. – Merken Sie sich das mal für mich.
    – Geht klar, sagte Bill. – Nur Victor?
    – Genau. Sagen Sie mir das, wenn ich frage?
    – Klar.
    – Bestens.
    Er fuhr mich zurück zu meiner Bleibe. Er parkte direkt vor der Tür.
    – Ich warte hier, sagte er.
    Ich war nicht sein Gefangener.
    – Welches Zimmer hab ich?
    – Siebenunddreißig.
    – Ich brauch eine halbe Stunde.
    – Geht klar, sagte er. – Lassen Sie sich Zeit.
    Das genarbte Notizbuch war noch auf dem Tisch und der Bleistift auch. Mein Hut lag auf dem Bett, aber keine
Saturday Evening Post.
Ich griff nach dem Notizbuch. Ich las die Namen. VICTOR stand schon da.
    Gracie.
    Ich hatte eine Schwester, die Gracie hieß, sagte ich zu Bill.
    Ich saß neben ihm auf der Fahrt durch die Wüste, eine echte Wüste.
    – So? sagte er.
    – Ja.
    – Drüben in Irland.
    – Ja.
    – Und wie war sie?
    – Weiß nicht, sagte ich.
    Ich hatte das Gefühl, dass Gracie vor meiner Geburt gestorben war, genau wusste ich es nicht. Aber ich kannte den Namen, ich hatte ihn immer gekannt.
    Wir waren lange gefahren, in die Dunkelheit hinein und wieder heraus und in einen neuen Tag hinein. Wir waren an Städten und ihren Schildern vorbeigekommen, ehe mir einfiel, dass ich mir ja die Namen hatte merken wollen. Barstow, Ludlow und Bagdad. Bei Bullhead City überquerten wir den Colorado. In diesem Fluss

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