Die Ruhelosen
schmutzig machen und lachen.
Gerade als sie sich enthusiastisch vorbeugte und die flachen Hände auf die Schlaghose klatschen wollte, als Signal für die Hunde, herbeizuspringen, gab es in Emmas Unterbauch einen Stich. Darauf folgte ein Ziehen, und darauf lief irgendeine Flüssigkeit an der Innenseite ihrer Beine hinab. Sie rief die Hunde zu sich und stolperte so rasch als möglich nach Hause, beide Hände vor den Bauch gepresst.
Am 13. August 1965 war Emma, verfilztes schwarzesHaar, das keiner für sie bändigte, verschwitzt unter den Achseln und nass auf der Stirn und im Nacken, erst neunzehn Jahre jung und selber noch ein halbes Kind, Mutter eines Mädchens geworden. Lorine Emma war in die Welt gekommen und strampelte und schrie mit einer Vehemenz, die keinen Zweifel ließ.
halbe Helden
Männedorf, 1966
Nur noch ein einziges Mal hatte es Abel versucht. Nachdem es mit der Schneiderei in Fribourg nicht geklappt hatte und auch nicht mit dem Versandhandel farbiger Samtnessecaires, und nachdem man ihm seine Idee, Marmelade anstatt nur in großen Gläsern in Portionendöschen anzubieten, kaltschnäuzig geklaut und ihn ohne Tantièmen aus dem Erfinderrecht im Regen stehengelassen hatte, wollte er es ein letztes Mal probieren: mit Klimmzugstangen.
»In der Schweiz ist alles normiert, Mondaine! Ich habe es genau beobachtet, Herr und Frau Schweizer lieben ihre Normen.«
»Und deshalb müssen es rote Eisenstangen sein?«
»Das sind nicht einfach rote Eisenstangen, Chérie, das sind patentierte normierte Klimmzugstangen, die man im Türrahmen festschrauben kann. Ganz einfach – sieh!«
Mondaines Mund wurde spitz, und ihre Nase kräuselte sich.
»Chérie, écoute, es liegt doch auf der Hand. Du siehst es überall in der Schweiz, wenn du nur die Augen öffnest.«
»Ich sehe was, Abel?«
»Kletterstangen! Soweit das Auge reicht! Vor jedem Schulhaus eine! Acht senkrechte Streben hinten, acht schräge vorne, fünf Meter hoch, und wer es unter fünf Sekunden bis ganz nach oben schafft, ist ein Schweizer Held.«
Diese Kletterstangen waren ein Produkt der Küsnachter Firma Alder & Eisenhut, der Chef wohnte Ecke Schiedhaldensteig/Alte Landstraße, schräg vis-à-vis des Restaurants Weinberg, er hatte sein Geschäft gemacht.
»Tu es fou, völlig verrückt bist du, Abel.«
»Mais non, bei der militärischen Aushebung ist das Klettern an der Kletterstange Sportdisziplin! Eidgenössisch geprüfte Tüchtigkeit! Normiertes Heldentum, auf dass keiner darüber hinauswächst, aber auch keiner darunter bleibt.«
»Aber –«
»Und damit alle gleiche Chancen haben, verkaufe ich jetzt Klimmzugstangen für Privathaushalte. Früh übt sich, sagt man nicht so? Sie sollen alle schön fleißig bei sich zu Hause üben, siehst du die Genialität dieser Idee denn nicht ein? Es wird nicht so sein, wie mit den Confitüregläschen, ich bin ja schon mittendrin im Geschäft! Ich muss die Ware nur noch absetzen. Tu comprends? Bei den bald zwei Millionen Haushalten in der Schweiz, wenn ich da auch nur ein Prozent für die Klimmzugstange gewinne, dann macht das …, dann macht das zwanzigtausend Kunden, bei einem Verkaufspreis von …«
Abel stand da, die Arme schwenkte er wie Lastkräne, um ihn herum wuchsen aus den fünfundsiebzig Pappkartonsà 100 Klimmzugstangen – längenverstellbar dank elegantem Schraubgewinde, passend rot lackiert, mit je einem Säcklein 20g Magnesiapulver für die Hände – Berge von Schweizer Banknoten, Zehner-, Zwanziger-, Fünfziger-, Hunderter-, Fünfhunderter- und Tausendernoten zu seinem persönlichen Berg Ararat, auf dem er nach unendlich langer Odyssee endlich auch als gewiefter Geschäftsmann landen würde. Erfolggekrönt, wenn er nicht fallierte.
Mondaine schüttelte leise den Kopf, trat rückwärts aus dem gemieteten Hobbyraum im Keller des Wohnhauses an der Neuhofstraße 13 in Männedorf und schloss die Türe hinter sich. Aus dem Nebenraum ratterte der Telex. Dortwar ihr Schwiegersohn Nunzio Amadeo zugange, zweifelsohne mit einer neuen Enthüllungsgeschichte, einer Reportage, mit der er seinerseits an der Feste der Schweizer Ignoranz rütteln wollte. Mit der er selbst die Stange bis ganz nach oben klettern wollte. Mit der er es schaffen wollte.
Männer.
Verkannte Genies. Helden auf Halbmast.
Alle beide.
geweihtes Haar auf Schweizer Köpfen
Männedorf, 1967
Haarige Sache. Nunzio recherchierte in einem Themengebiet, das Mondaine gar nicht behagte. Sie ging ihm neuerdings aus dem Weg, was dieser
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