Die Ruhelosen
den Kopf und marschierte los. Nach dem Spaziergang würde sie die Haare in Bigoudis drehen müssen und fünfundvierzig Minuten unter der Trockenhaube schmoren, wenn sie nur halbwegs passabel aussehen wollte.
Egal. Jetzt war sie draußen, die Hunde zogen an ihrer Leine, Dina und Mira links, Palma und Maestra rechts, und ihre Rute drosch munter Tropfen aus der Luft. Dina war die älteste, weiseste. Sie schaute immer wieder zu Emma zurück, wollte in ihrem Gesicht lesen, wie es ihr ging.
»Gleich, gleich könnt ihr springen!«
Emma bückte sich zu den Hunden hinunter und löste die Karabiner von den Ringen der Hundehalsbänder, einen nach dem anderen. Mira, Palma und Maestra begannen sofort, seitlich übereinanderher zu springen, als hätten sie’s gelernt.
Dina trabte begeistert voran, die Schnauze hoch in der Luft, um herauszufinden, wie sich die Welt seit ihrem letzten Auslauf verändert hatte. Die Hunde kannten bereits den Weg, immer der Nase nach den Hügel hinan und dem Wald entgegen, wo sie auf der Pfadiwiese die Gerüche von Cervelat, Abenteuer und schweißigen Kinderhänden würden aufschnappen können. Dinas Kopf schwenkte hin und her, und ihre Rute segelte im Wind. Feine Regentropfen silberten auf ihrem Fell, und Emma fühlte, dass sie durchatmen konnte. Die Schwangerschaft, das werdende Kind,ihre neue Rolle als Ehefrau und Frau des Leiters des Spiegelbüros Zürich war wie ein Kleid, das ihr noch nicht recht passte. Aber auch die alten Kleider waren Emma nicht mehr kommod, sie wollte nicht als Schatten von Mondaine, als kleine Schwarze neben der Blonden, über die Laufstege gehobener Modegeschäfte gehen. Und das Liedersingen war so anstrengend geworden, ihr Vater war ja nie zufrieden. Sie musste immerzu perfekt sein, das hatte sie sofort begriffen, als er, ihr schon halb fremd geworden, aus »Amerika« zurückgekommen war und Mondaine ihm die erste Schallplatte vorspielte, auf der Emma sang. Mondaine hatte – zusammen mit dem befreundeten Pianisten – den Plan ausgeheckt, Emma groß rauszubringen. Eine Tochter mit Vater, das wäre doch ein Gag, den so schnell kein zweiter toppen könnte. Und Emmas struppiges Zigeunerhaar wäre endlich zu etwas nutze – weil es passte. Vater und Tochter zusammen auf der Bühne, Mondaine sammelte auf der Rückseite einer Autogrammkarte, denn auch die hatte sie schon anfertigen lassen, mögliche Künstlernamen für das neue Duo.
»Tu n’est rien!«, nichts bist du, hatte dieser fremde Mann mit Schnurrbart da gefaucht, nichts, wenn du nicht annähernd so gut bist wie die Sängerinnen und die Sänger in Amerika. Die große Show duldet nichts Mediokres. Wie hätte das ein ehemaliges Wunderkind, das die Violine grad ebenso gut beherrschte wie das Spiel auf einer Zither, einem Klavier, einer Altflöte, den Schweizer Jodel gar!, auch je gelten lassen können! Emma wusste, nur hartes Üben konnte sie vor dem Abrutschen bewahren, und sie hatte jeden Tag geübt, wenn sie von ihrem Coiffeurlehrbetrieb – auch das eine Idee ihrer Mutter – heimgekommen war. Sie übte Tonleitern, Aussprache, dehnte ihren Atem, vergrößerte ihr Volumen und suchte in ihrem eigenen Resonanzkörper so etwas wie ein Zeichen dafür, dass sie endlich aufdem richtigen Weg, dass sie vielleicht sogar ein bisschen angekommen war.
Für Nunzio war ihr Gesang ein Geschenk, selbst wenn es doch nur seichte Schlager waren und er sich bei ihren Texten langweilen musste: Ihre Stimme bereitete ihm Freude, jedes Mal, er schmolz in ihren tiefen Tönen. Einmal hatte er sogar erwähnt, dass er für sie, sobald er einigermaßen eingerichtet sei und der Telex laufe, Liedtexte schreiben würde. Abel könnte dazu Musik komponieren und arrangieren und Emma damit bei Galas brillieren. Ihm schwebte eine Melange vor von etwas Halbwildem, Halbmelancholischem, moderne Zigeunerweisen als peppige Schlager verpackt. Mit ihrem dunklen groblockigen Haar, wenn es erst einmal gewickelt, gebrannt und wieder heruntergelassen war, würde Emma ein tolles Titelbild auf der Schweizer Familie abgeben.
Zwei Hundepfoten rissen sie aus ihren Gedanken, Palma war an ihr hochgesprungen und hätte sie beinahe umgeworfen.
Emma küsste ihre feuchte Schnauze und ließ sich von ihren Tasthaaren die Ohren kitzeln. Mit den Hunden war sie eins. Da spürte Emma kein Genügenmüssen, kein Rechtmachenmüssen und auch keine Anforderung an ihren Verstand. Mit ihnen konnte sie kindlich sein, kindisch sein, unperfekt und klein, konnte sie herumtollen, sich
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