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Die Ruinen von Gorlan

Die Ruinen von Gorlan

Titel: Die Ruinen von Gorlan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Flanagan
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der Mann war träge und schläfrig und stellte für Will wohl kaum ein Risiko dar. Außerdem hatte Will sowieso nicht vor, die Tür oder die Treppe zu benutzen.
    Über die Jahre hinweg hatte seine unstillbare Neugierde und seine Vorliebe für Orte, wo er nicht hingehörte, dazu geführt, dass er sich sogar ohne Deckung in freiem Gelände unbemerkt bewegen konnte.
    Als der Wind durch die Zweige fuhr, bewegten sich auch die Schatten, die sie im Mondlicht warfen – und diese Schatten nutzte Will jetzt aus. Er passte seine Bewegungen dem Rhythmus der Bäume an, fügte sich genau in das Lichtmuster im Hof ein und wurde geradezu ein Teil davon. Auf gewisse Weise machte der Mangel an Deckung seine Aufgabe sogar ein wenig leichter. Der fette Wachposten erwartete nicht, dass sich irgendjemand über den offenen Hof wagte. Weil er niemanden dort zu sehen erwartete, sah er auch niemanden.
    Atemlos drückte Will sich gegen den rauen Stein der Turmmauer. Der Wachposten war kaum fünf Meter entfernt und Will konnte seine schweren Atemzüge hören. Nur ein kleiner Vorsprung in der Mauer verdeckte ihn vor dem Blick des Mannes. Will legte den Kopf in den Nacken. Das Fenster des Studierzimmers war sehr weit oben und ein Stück weiter, beinahe auf der anderen Seite des Turms. Um es zu erreichen, musste er erst nach oben, dann zur Seite und noch weiter nach oben klettern. Will fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Anders als im Inneren des Turms, wo die Wände ziemlich glatt waren, gab es zwischen den mächtigen Steinblöcken der Außenmauer große Spalten. Sie zu erklettern war nicht allzu schwer. Es gab genug Ritzen, wohin Will seine Hände und Füße setzten konnte. An manchen Stellen war der Stein unter dem Einfluss der Witterung über die Jahre glatt geworden, das wusste er, da musste er vorsichtig sein. Aber in der Vergangenheit hatte er bereits jeden der anderen drei Türme erklettert und so erwartete er auch bei diesem keine echten Schwierigkeiten.
    Doch wenn man ihn diesmal erwischte, könnte er das Ganze nicht als Streich abtun. Er war im Begriff, mitten in der Nacht einen Teil der Burg zu erklettern, dessen Zutritt verboten war. Schließlich postierte der Baron die Wachposten hier nicht zum Spaß, sondern um ungebetene Gäste fernzuhalten.
    Will rieb nervös die Hände aneinander. Was konnten sie ihm denn schon tun? Er war am Wahltag bereits übergangen worden. Niemand wollte ihn. Er war zur Arbeit auf den Feldern verdammt. Was konnte noch schlimmer sein?
    Dennoch zögerte er. Eine schwache Hoffnung glimmte immer noch in ihm. Wenn er am Morgen den Baron daran erinnerte, dass sein Vater ein Held gewesen war, und ihm erklärte, wie wichtig es für ihn war, in die Heeresschule zu gehen, vielleicht gab es dann ja doch noch eine Chance für ihn. Andererseits, wenn er in den nächsten Minuten erwischt würde, war alles verloren. Er hatte keine Ahnung, was man mit ihm machen würde, wenn man ihn ertappte, aber ganz sicher käme er nicht zur Belohnung an die Heeresschule.
    Er zögerte, so als fehlte ihm der letzte Anstoß. Es war der dicke Wachposten, der ihn gleich darauf lieferte. Will hörte den Mann tief einatmen und dann seufzend aufstehen, während er sich für eine unplanmäßige Runde rüstete. Normalerweise bedeutete das, dass er rechts und links von der Tür ein paar Meter um den Turm herumging und dann wieder zu seinem ursprünglichen Standort zurückkehrte. Er tat es wohl mehr, um wach zu bleiben, aber Will war klar, dass der Wachposten innerhalb der nächsten Sekunden auf ihn stoßen würde, wenn er nicht rasch handelte.
    Schnell und geschmeidig begann er wie eine riesige, vierbeinige Spinne die Mauer hochzuklettern. Sobald er die schweren Schritte direkt unter sich hörte, verharrte er bewegungslos, um den Wachposten auch nicht mit dem kleinsten Geräusch zu alarmieren.
    Tatsächlich schien es, als hätte der etwas gehört. Er blieb direkt unter der Stelle stehen, wo Will an der Mauer hing, und spähte auf die sich bewegenden Schatten der Bäume. Doch wie Will schon in der Nacht zuvor bemerkt hatte: Die Leute sahen selten nach oben. Der Wachposten war schließlich davon überzeugt, dass er nichts Wichtiges gehört hatte, und marschierte weiter langsam um den Turm.
    Das war die Gelegenheit, die Will brauchte. Jetzt konnte er zur Seite klettern, bis er direkt unter dem Fenster war, durch das er einsteigen wollte. Seine Hände und Füße fanden problemlos Halt, und Will bewegte sich fast so schnell, wie ein

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