Die Ruinen von Gorlan
Keiler war jedoch im nächsten Moment schon wieder auf den Füßen, jetzt noch wütender als vorher. Das Pony hatte ihn überrascht, mehr nicht. Jetzt ging das Wildschwein auf Reißer los, und das kleine Pony wieherte vor Angst und tänzelte zur Seite, um den messerscharfen Hauern zu kommen.
»Reißer! Fort mit dir!«, schrie Will. Er war entsetzt. Wenn die Hauer die empfindlichen Sehnen in den Beinen des Pferdes verletzten, wäre Reißer für sein Leben verkrüppelt. Will konnte einfach nicht dabeistehen und zusehen, wie sein Pferd sich für ihn in solche Gefahr begab. Er schoss einen weiteren Pfeil ab, dann zog er das lange Waldläufermesser aus dem Gürtel und rannte geradewegs auf das wütende Biest zu.
Der Pfeil traf das Tier in die Seite. Wieder hatte er keine lebensgefährliche Stelle getroffen und den Keiler nur verwundet. Will schrie aus Leibeskräften, während er auf das Wildschwein zurannte und Reißer immer wieder befahl, endlich wegzulaufen. Der Keiler sah ihn kommen und senkte den Kopf für einen letzten, tödlichen Stoß.
Will war ganz ohne Deckung. Er musste den Angriff hier im offenen Feld abwehren. Ohne lange nachzudenken, ließ er sich auf ein Knie fallen und hielt mit verzweifeltem Mut die Klinge des Waldläufermessers vor sich, als das Wildschwein angriff. Schwach hörte er Horaces heiseren Schrei, als dieser ihm mit einer Saufeder zu Hilfe eilte.
Da war ein hohes Surren über die donnernden Wildschweinhufe hinweg zu hören und plötzlich verharrte das Wildschwein mitten im Lauf, bäumte sich auf und fiel dann tot in den Schnee.
Walts Pfeil hatte sich fast völlig in die Seite des Tiers gegraben, hineingetrieben von der ganzen Kraft des Waldläufers. Er hatte das angreifende Tier genau unterhalb der linken Schulter getroffen und mit der Pfeilspitze geradewegs das Herz des Biestes durchbohrt.
Ein perfekter Schuss.
Walt zügelte jetzt Abelard im hoch aufstiebenden Schnee, sprang vom Pferd und legte die Arme um den zitternden Jungen. Will, der wie erstarrt war, vergrub sein Gesicht in dem rauen Stoff von Walts Umhang. Er wollte niemanden die Tränen sehen lassen, die jetzt über sein Gesicht liefen.
Sanft nahm Walt Will das Messer aus der Hand.
»Was, um Himmels willen, hattest du denn damit vor?«, fragte er.
Will schüttelte nur den Kopf und brachte kein Wort heraus. Er spürte Reißers weiche Schnauze sanft an seinem Arm und sah in die großen, klugen Augen.
Dann herrschte nur noch Lärm und Verwirrung, als die Jäger sich um sie versammelten, die Größe des zweiten Wildschweins bestaunten und Will für seinen Mut auf den Rücken schlugen. Er stand zwischen ihnen, eine kleine Gestalt, und schämte sich immer noch der Tränen, die über seine Wangen liefen, egal, wie sehr er sich bemühte, sie aufzuhalten.
»Das sind wirklich hinterhältige Biester«, sagte Sir Rodney und stieß das tote Tier mit seinem Stiefel an. »Wir dachten alle, es sei nur eines, weil sie ihr Versteck nicht zusammen verließen.«
Will spürte eine Hand auf seiner Schulter und drehte sich um. Es war Horace, der ihm in die Augen sah. Langsam und voller Bewunderung und Unglauben schüttelte er den Kopf.
»Du hast mir das Leben gerettet«, stellte er fest. »Das war das Tapferste, was ich je gesehen habe.«
Will versuchte, den Dank des anderen Jungen mit einem Schulterzucken abzutun, doch Horace gab nicht nach. Er dachte daran, wie oft er Will aufgezogen und schikaniert hatte. Jetzt hatte der drahtige kleine Kerl ihn vor den mörderischen Hauern gerettet. Es sagte viel über die wachsende Reife von Horace aus, dass er seine eigene Reaktion, als er sich zwischen das angreifenden Wildschwein und Will gestellt hatte, völlig vergaß.
»Aber warum, Will? Schließlich waren wir…« Er konnte sich nicht überwinden, den Satz zu beenden, aber Will ahnte, was ihm durch den Kopf ging.
»Horace, wir mögen in der Vergangenheit unsere Streitigkeiten gehabt haben«, sagte er. »Aber wir waren doch nie Feinde. Ich hasse dich nicht. Ich habe dich nie gehasst.«
Horace nickte langsam und ein Ausdruck des Verstehens machte sich auf seinem Gesicht breit. »Ich verdanke dir mein Leben, Will«, sagte er mit fester Stimme. »Diese Schuld werde ich niemals vergessen. Wenn du jemals einen Freund brauchst, wenn du je Hilfe brauchst, dann kannst du dich auf mich verlassen.«
Die beiden Jungen sahen einander an, dann streckte Horace Will die Hand entgegen und Will ergriff sie. Die Ritter, die um sie herum standen, schwiegen einen
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