Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
hinter sich leise Schreie. Die Rune, die sie nicht loszulassen wagte, kostete sie Kraft. Ohne Merricks Macht, ihr zu helfen, lief sie blind und würde ein Risiko eingehen müssen.
Wo immer du bist, Merrick – komm bald zurück. Ich brauche dich.
Und mit diesem letzten Gedanken durchdrang Sorcha die dicken Lehmmauern des Palasts und gelangte hinaus ins Chaos der Stadt.
Kapitel 23
Freiheit und Kampf
Der Rossin rannte, und ausnahmsweise hatte das nichts mit seinem Verlangen nach Blut zu tun. Die Frauen des Harems hatten ihn gesättigt, und ihr Blut hatte ihn gestärkt. Stattdessen rannte er auf etwas ebenso Köstliches zu: Rache.
Seine breiten Pfoten schlugen präzise und laut auf die Lehmdächer der Bienenkorbstadt. Schwärme kreischender Vögel flohen aus ihren Nestern, als er an ihnen vorbeidonnerte. Unten erhaschten die Menschen einen Blick auf den Löwen, wenn er von einem Haus zum anderen sprang, und ihre Schreie, die ihn einst befriedigt hätten, waren jetzt so bedeutungslos wie das Krächzen der Vögel.
Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit hatte der als Rossin bekannte Geistherr eine Mission, und seine goldgesprenkelten Augen waren auf das Ziel gerichtet.
Vor ihm, an der Biegung des Flusses, lag der Tempel Hatipais. Beim bloßen Gedanken an diesen Namen drang ein hasserfülltes Knurren aus der gewaltigen Brust der Bestie.
In den dichten Dschungeln östlich von Chioma gab es Schlangen, die andere Schlangen fraßen; sie waren die gefürchtetsten Reptilien in Arkaym. Und nun war eines dieser giftigen Kriechtiere – oder doch sein Gegenstück unter den Geistern – in seinen Bau zurückgekehrt.
Der Rossin blieb auf einem breiten Dach am Stadtrand stehen und ruhte sich kurz aus. Jetzt, wo er wieder einen fleischlichen Körper besaß, genoss der Geistherr, wie berauschend ihm das Blut durch die Adern schoss und wie herrlich ihm das Herz in der Brust schlug. Er fuhr sich mit der Zunge über die weißen Eckzähne, leckte sich die Schnauze, sog die letzten Blutstropfen auf, die sein Fell befleckten, und bedachte die letzte kleine Entfernung zwischen sich und seinem Ziel.
Er hatte das Ende des Palastkomplexes erreicht. Vor ihm lag die lange, gut bewachte Straße zum Hafen und zu den Märkten der Stadt. Es gab keine Dächer mehr, über die er sich fortbewegen konnte.
Er war nicht außer Atem und fürchtete sich auch nicht davor, sich unter Menschen zu begeben, aber sie wollte er nicht vor seinem Kommen warnen. Der Rossin drehte den stolzen Kopf, um den Tempel noch einmal zornig anzustarren. Kein Diakon des Ordens hätte den Horizont so gut absuchen können wie er – aber wenn sie dazu in der Lage gewesen wären, hätten sie gezittert.
Mit überirdischen Augen, die besser sahen als die eines Menschen und die Realität dieser Welt tief durchdrangen, beobachtete er, wie ein gewaltiger Sturm sich dem Königreich Chioma und seinem Prinzen näherte. Das gemusterte Kopffell des Rossin kräuselte sich, und er hob witternd die Nase. Es stank nach Gruft und verlorenen Hoffnungen – dem Geruch der lange Verstorbenen, den der Rossin verabscheute, den sie jedoch liebte. Hatipais bewundernde Anhänger hatten keine Ruhe, selbst wenn sie tot waren. So groß war die Macht der selbsternannten Göttin über sie.
Vor beinahe tausend Jahren hatte die Familie, die seinen Namen trug, Hatipai mit seiner Hilfe unter Vermillion gefangen gesetzt. Bei der Erinnerung an diese strahlende und schreckliche Schlacht bleckte er die Reißzähne. Jetzt hatte sich das Blatt gewendet. Sie war im Aufstieg begriffen, während die Blutlinie, die ihn beschützt hatte, auf zwei zerbrechliche Zweige gestutzt worden war.
Die große Katze spürte, wie sie Zorn und vielleicht ein klein wenig Furcht überkam. Hatipai hatte viele Geister und Geistherrn vernichtet, und der Rossin hatte nur überlebt, weil er sich nicht wie viele seiner Art auf Glauben und Huldigung verlassen hatte. Es war nicht einfach gewesen, Teil einer menschlichen Blutlinie zu werden, doch es hatte sich als die klügste Wahl erwiesen.
Ich habe überlebt. Ich habe triumphiert,
dachte der Rossin, während das unbekannte Gefühl der Furcht schon an ihm zu nagen begann. Doch da war noch etwas anderes …
Er blickte nach Osten, weil er einen Zug in diese Richtung spürte, und wusste genau, was er bedeutete. Ihm blieb nur noch eine andere mögliche Heimat – die Schwester dieses Körpers, das junge Mädchen, Fraine.
Dass sowohl Raed als auch Fraine jetzt hier waren – so nah und
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