Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
hinterließ.
Wenn Hatipai in all der Zeit, die er sie gekannt hatte, eines gewesen war, dann unbarmherzig. Sie hatte den Geistherrn gegenüber keine Gnade gezeigt – vielleicht sogar noch weniger als gegenüber den Menschen.
Doch der Geistherr hatte sich geirrt. Dies war nicht der Beginn seiner Flucht – es war das Ende.
Innerhalb eines Augenblicks verdunkelte sich der Himmel, und die Wolken, die das verursachten, waren nicht natürlich. Es waren ihre Anhänger. Jede Seele, die Hatipai verehrt hatte, war von intensivem Hass auf die Geistherrn erfüllt. Die Flügel, die dem Rossin just gewachsen waren, hatten ihn gerade erst auf die Höhe der umliegenden Gebäude gehoben, als der Gespensterschwarm niederstieß.
Wie Adler schossen sie im Sturzflug durch ihn hindurch. Sie hinterließen kein körperliches Mal, nahmen dem Geistherrn aber ein wenig von seiner Macht. Ein Gespenst würde den Rossin nicht in die Knie zwingen, aber dies war eine Gespensterwolke, dichter und tödlicher als ein Gewitter. Sie flogen mit ihrem Zorn und ihrem Schmerz und ihrem Verlust durch den Geistherrn hindurch.
Jedes einzelne Gespenst durchstach ihn. Er schrie und heulte und schlug mit den Flügeln, um sich über sie zu erheben und in den offenen Himmel zu fliehen. Doch sie griffen weiter und weiter an.
Der Rossin stürzte mit einem ohnmächtigen Schrei zur Erde. Ihm blieb keine Möglichkeit, sich zu retten, als er nur wenige Schritte von den Stufen, auf denen die Frau stand, auf dem Boden aufschlug.
Die Gespenster waren gnadenlos. Jedes entriss ihm einen Teil seiner Stärke, und er hatte keine Wahl. Er musste zurück in seinen Wirt fliehen, oder er war völlig verloren.
Während der Rossin die Kontrolle aufgab, hörte er die Frau näherkommen. Ihre Stiefel knallten auf dem Pflaster, und er roch Tod, der sich um ihn wand. Sie beugte sich zu ihm herab und flüsterte ihm ins Ohr: »Du siehst, alter Freund, es ist, wie ich es versprochen habe – du wirst für das bezahlen, was du mir angetan hast.«
Der Rossin wusste sehr genau, was sie vorhatte. Er wollte es nicht, tat aber das einzig Mögliche: Er griff nach der Verbindung der Diakone und rief nach der Frau. Jetzt war sie seine einzige Hoffnung. Sie würde ihn im Namen seines Wirts retten. Sie musste es tun.
Es war anstrengend, Voishem ganz allein aufrechtzuerhalten, darum taumelte Sorcha, als sie den Palast verließ.
Sie trat durch die äußerste Palastmauer und rang keuchend nach Luft, als wäre dies ihr erster Atemzug seit Erscheinen des Ghast. Ihr Herz donnerte in der Brust, und sie zitterte am ganzen Körper. Alles drehte sich und war verschwommen, sodass sie dachte, sie werde ihr Frühstück erbrechen.
Wenn jetzt chiomesische Wachen auf die Diakonin stießen, würde sie wehrlos sein. Sie hätten sie in eine Million winzige Stücke schneiden können, und Sorcha wäre nicht in der Lage gewesen, eine Hand zu heben, um sie aufzuhalten. Selbst das Atmen kostete Mühe. Nur die Mauer im Rücken hielt sie aufrecht – und das, nachdem sie durch so viele Wände hindurchgerannt war.
Sie strich sich das Haar aus den Augen und versuchte mit tauben Fingern, die losen Strähnen in den Zopf zurückzustecken. Diese einfache Gewohnheit gab ihr etwas Zeit, um sich zu erholen. Als sie fertig war, orientierte sich Sorcha darüber, wo sie aus dem Palast gekommen war.
Durch puren Zufall war sie nicht direkt an einer Hauptstraße gelandet. Stattdessen befand sie sich im Schatten eines Wachturms. Vielleicht war dies nicht der beste Ort, aber als sie geflohen war, war sie vollkommen blind gewesen, daher konnte sie sich glücklich schätzen, nicht in eine Jauchegrube gefallen zu sein oder sich über einem Abgrund materialisiert zu haben.
Vorsichtig warf Sorcha den Umhang zurück. Sie wagte es noch nicht, aufzustehen, sondern kroch auf allen vieren zur Ecke, um hinter dem Turm hervorzuspähen. Vielleicht war es arrogant zu vermuten, der Palast habe seine ganze Aufmerksamkeit darauf konzentriert, sie zu finden, denn was sie vor sich sah, legte nahe, dass der Rossin ebenfalls ziemlichen Eindruck hinterlassen hatte.
Die Bestie hatte eine breite Schneise durch Wachen und Bürger der Bienenkorbstadt geschlagen. Noch immer lagen Leichen herum, als hätte ein sehr böses Kind seine Puppen beim Verlassen eines sehr großen Kinderzimmers nach rechts und links geworfen. Nur dass da Blut war – jede Menge Blut. Als Diakonin hatte Sorcha viele Gräueltaten gesehen. Was ihr größere Sorgen machte, war Raed.
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