Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
der Diakone.
Merrick konnte keine Details der Verfolger ausmachen, denn das Gesichtsfeld der aufgestörten Nager war auf Stiefel und über den Boden schleifende Stoffe begrenzt, doch wie Japhne waren auch diese Gestalten im Kanalrohr nach Westen gegangen, also entgegen der Richtung, die alle anderen in Orinthal nahmen. Seine Mutter war also nicht in den Bann von Hatipai geraten. »Was liegt westlich von hier?«, fragte er die Wachen.
Der Mann an der Spitze, dessen stämmige Gestalt das Regenrohr beinahe ganz ausfüllte, zuckte die Achseln. »Das Tal, in dem der Palast steht, läuft aus und wird nichts als Wüste.«
»Und dieses Rohr?«, drängte Merrick.
Ein weiterer, kleinerer Wachposten schien sein Wissen gerne weiterzugeben. »Es fließt in die Bewässerungskanäle, denke ich.«
Merrick wollte nicht durch Plantagen von Feigen und Datteln stapfen, während die Nacht hereinbrach, aber sie hatten keine andere Wahl; das war der Weg, den seine Mutter und ihre rätselhaften Verfolger gegangen waren.
Er behielt Sielu bei, was ihm eine beunruhigende, bruchstückhafte Sicht aus der Perspektive der Ratten gab, aber so würde ihn niemand abschütteln können. Merrick stützte sich nur kurz an der Rohrwand ab, dann ging er voran, Richtung Westen.
Die Wachen folgten stumm, und ihre Sorge hinterließ nur einen schwachen Eindruck auf den Sinnen des Diakons. Die Rune zu halten und gleichzeitig sein Zentrum offen zu lassen, war heikel und wurde von den Tutoren in der Mutterabtei nicht empfohlen. Es war so, als würde man sich im Gehen den Bauch reiben und auf den Kopf klopfen, aber Merrick wollte den Verfolgern nicht ohne Vorwarnung über den Weg laufen. Er hatte das Gefühl, das wäre eine ganz schlechte Idee.
Das Rohr wurde breiter, und andere Kanäle, deren Geruch feucht und modrig war, begannen auf den Haupttunnel zu stoßen. Die platschenden Schritte der Wachen hallten von den Wänden. Plötzlich ärgerte Merrick sich über all diese Geräusche.
Er drehte sich um und zischte über seine Schulter: »Meine Herren, bitte … etwas unauffälliger!«
Daraufhin gingen die Wachen eng an der Wand im Gänsemarsch weiter, und gleich spritzte es nicht mehr so sehr. Es war nicht ihre Schuld, sonst Türen zu bewachen und nicht an heimlichen Verfolgungen teilzunehmen.
»Vielen Dank«, brachte Merrick heraus. Seine Mutter hatte ihn stets Höflichkeit in jeder Situation gelehrt – und hier schien sie besonders angebracht zu sein.
Gemeinsam bewegten sie sich einige Schritte weiter, bis ein unerwarteter, warmer Windhauch Merrick über das Gesicht strich. Er blieb sofort stehen. Das Rohr zweigte plötzlich ab, aber diese Abzweigung war anders als alle, die sie bereits passiert hatten.
Die Rune Sielu wurde nicht länger benötigt, denn hier gab es keine einzige Ratte. Der Diakon ließ sie fallen und überprüfte die Lage mit seinem Zentrum. Im Bereich um die neue Öffnung befanden sich keine Nager und auch sonst keine Tiere.
Während die Wachen hinter ihm warteten, untersuchte Merrick das neue Rohr. Die Luft von dort war tatsächlich warm – nicht kalt wie an den anderen Kreuzungen. Auch das Mauerwerk war anders. Bisher waren sie nur an alten Ziegelsteinen vorbeigekommen, doch diese hier waren leuchtend rot und noch ganz frisch.
»Hier hat jemand renoviert«, bemerkte der Diakon und strich leicht mit der Hand über die Ziegel. Sie unterschieden sich noch auf eine andere Weise von den alten Steinen: Er spürte keinerlei Hinweis auf die Handwerker. Die Ziegel waren so gründlich gesäubert, wie ein kluger Mörder ein Messer abwischen würde. Doch auch hier fand sich der Handabdruck seiner Mutter, nur einige weitere Tröpfchen von ihrem Blut. Vielleicht bildete ihr Sohn es sich nur ein, aber er konnte Japhnes Furcht förmlich riechen.
»Haltet eure Gewehre bereit«, flüsterte er den Wachen zu, »und eure Klingen lose in der Scheide.« Wenn Hatipai auf dem Weg zu ihrem Tempel war, musste jemand anders seine Mutter verfolgen, und nur wenige Unlebende machten sich je die Mühe, ihre Fährte so zu verbergen wie hier. Nur Menschen waren so gerissen.
Merrick Chambers hatte weder seine Träume noch das Flüstern in ihnen vergessen. Sie hatten nicht versucht, sich zu verstecken. Sie wollten, dass er die Verbindung herstellte. Der Kreis aus fünf Sternen war das Echo eines Ordens, der angeblich seit vielen Generationen tot war – des einheimischen Ordens.
Er wurde das Gefühl nicht los, dass nicht nur seine Mutter getrieben
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