Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
geschrieben, die er im Noviziat so mühelos erlernt hatte.
In der Zukunft. Merrick spürte ringsum das Wirbeln der Welt; tatsächlich befand er sich an der Stelle, die sein kindliches Ich erst in Hunderten von Jahren besetzen würde.
»Und deshalb müssen sie zerstört werden«, erwiderte sie.
Er erinnerte sich an die umgestürzten Säulen im Garten seines Großvaters und an das seltsame Scheuern, das ihre Bedeutung ausgelöscht hatte. Wenn er nur diese Nynnia daran hindern konnte, fortzufahren – wenn nur eine Säule überlebte …
Dann dachte er an die Konsequenzen für seine Zukunft und begriff, dass er vorsichtig vorgehen musste. Merrick hob geschlagen die Hände. »Du hast recht: Wenn ich dich aufhalte, wer weiß, welche Veränderungen das in meiner eigenen Zeit bewirken würde – man kann unmöglich vorhersagen, ob die Zukunft besser oder schlechter wäre.«
Ihr Blick war hart, aber nicht überrascht. »Wer seid Ihr?«, fragte sie und trat näher an ihn heran.
Die Worte schmerzten ihn, aber er machte eine tiefe Verbeugung, als stünde er vor dem Kaiser selbst. »Diakon Merrick Chambers – der Mann, den Ihr eines Tages lieben werdet.«
Wenn er das zu einer anderen Frau gesagt hätte, hätte sie vielleicht gelacht und ihn stehen gelassen. Doch dies war Nynnia. Was immer sie war, sie war offen für neue Möglichkeiten.
Ihre Mundwinkel zuckten, als wollte sie lächeln. »Nun … das ist natürlich etwas ganz anderes, aber Euer Titel« – sie legte den Kopf schräg – »was bedeutet das?«
Solche Worte konnten das Herz eines Mannes, der sein ganzes erwachsenes Leben in der Obhut des Ordens verbracht hatte, wirklich erfrieren lassen. Doch als Student der Geschichte wusste er, dass die Alten vor dem Bruch und der Gründung des Ordens von der Welt verschwunden waren.
Die ungeheure Menge seines Wissens über all das, was geschehen war, bevor es ihn aus Orinthal weggerissen hatte, wirbelte ihm durch den Kopf. In der Sicht des jungen Diakons loderte Nynnia auf, und zwar nicht so wie Raed, sondern anders als alles, was er je gesehen hatte. Auf den ersten Blick hatte Nynnia ihn mit ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz überwältigt – aber sie schien nichts weiter als ein normaler Mensch gewesen zu sein. Spätere Ereignisse hatten dies als vollkommen falsch bewiesen.
Nynnias zweite Inkarnation in der Anderwelt dann war jenseits alles Sterblichen gewesen. Diejenige, die nun vor ihm stand, war zwar menschlich, schimmerte jedoch mit einer seltsamen Energie.
Immer eins nach dem anderen.
Er versuchte, eine Antwort zu formulieren, die die Zeit nicht verändern oder ihn auf den Scheiterhaufen bringen würde. Die Dozenten im Noviziat waren auffallend schweigsam gewesen, was die Anstandsregeln auf einer Zeitreise betraf. Er suchte noch immer nach der Antwort, als Nynnia für ihn sprach.
»Ihr seid also aus der Zukunft gekommen«, sagte sie und verschränkte die Arme. »Unsere Gelehrten haben angenommen, dass eine solche Reise möglich ist, weil das Wesen der Anderwelt jenseits der Zeit liegt.« Sie deutete nach oben. »Der Schleifer entfernt übrigens gerade diesen Teil des Großen Wissens.«
Merrick zuckte zusammen und dachte an das Entsetzen, das die Bibliothekare der Mutterabtei bei diesem Anblick empfinden würden. »Wo … wo genau bin ich? Oder wann?«
»Wo – im Tempel der Ehtia. Das Wann ist schwerer zu sagen – nach unserer Zeitrechnung 1467 nach der Entzündung des Feuers.«
Ihre Datumskonvention ergab für ihn keinen Sinn; kein Kalender, von dem er je gehört oder den er studiert hatte, benutzte etwas Vergleichbares. Er schob das für den Moment beiseite. Zu viele Fragen drängten sich ihm auf.
»Sagt es mir.« Nynnia ging um ihn herum, und ihre Nähe verbannte alle anderen Belange. »Wie lernen wir uns kennen, Diakon Chambers, in Eurer Zukunft?«
»Ich könnte bereits zu viel verraten haben.«
»Aber Ihr habt gesagt, ich werde Euch lieben?« Nynnia tat diese Idee nicht sofort ab, verletzte seinen Stolz also glücklicherweise nicht. Aus der Nähe betrachtet, schätzte er ihr Alter eher auf fünfzig als auf vierzig, und er konnte nicht umhin, sie anzustarren. So wäre die Frau, die er kannte, gealtert, wenn sie die Chance dazu gehabt hätte.
»Das tust du«, erwiderte er und ballte die Hände, bevor sie nach ihr griffen. »Oder vielmehr, das wirst du …«
Nynnia stand dicht vor ihm und legte den Kopf in den Nacken, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Ich verstehe nicht, wie jemand von einem
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