Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
anders an.
»Ihr habt unser Blut in Euch, Junge – aber Ihr seid so weit gereist, um uns zu erreichen. Wirklich erstaunlich.«
Die Rune Kebenar, die Vierte Rune der Sicht, erlaubte Sensiblen, die wahre Natur der Dinge zu sehen – doch dieser Mann hatte das ohne sichtbares Zeichen ihrer Anwendung getan. Einmal mehr war Merricks Neugier geweckt, und es fiel ihm besonders schwer, den Mund zu halten.
»Die Anderwelt ist zu vielem fähig«, brach der Chioma-Prinz das Schweigen, »und selbst der Zeit nicht streng unterworfen – und jetzt setzt meine Mutter das gegen uns ein.« Die Stimme hinter der funkelnden Maske war sanft und mächtig und dem Diakon schockierend vertraut. Durch sein Zentrum wusste Merrick: Dies war kein ferner Vorfahr des Prinzen, den er kennengelernt hatte – es war derselbe Mann!
Jetzt konnte er seine Zunge nicht mehr beherrschen, wirbelte herum und zeigte auf höchst unangemessene Weise auf den sitzenden Onika. »Das … das ist unmöglich!« Für eine kurze Zeit verschlug es ihm die Sprache.
»Merrick!« Nynnia war entsetzt über ihren Gast. »Das ist der Prinz von Chioma, unser größter Verbündeter.«
Die anderen am Tisch sprangen auf. Die kämpferischen Ehtia zogen ihre Schwerter, zweifellos besorgt, der Neuankömmling werde einen von ihnen angreifen. Doch Merrick neigte nicht zu Gewalt, obwohl die Welt ziemlich verrückt geworden war.
Der Diakon dachte noch einmal nach; er musste sich geirrt haben. Also ruderte er zurück. »Vergebt mir, Majestät, es ist nur so, dass es in meiner Zeit einen Prinzen von Chioma gibt, und er klingt genau wie Ihr. Vielleicht sollte ich Euch nicht sagen, dass einer Eurer Nachfahren …«
»Ich habe keine Söhne und kann auch keine bekommen«, erwiderte der Prinz, und dann zog er den Perlenvorhang beiseite.
Viele Jahrzehnte lang war über das Geheimnis des Herrschers von Chioma getuschelt worden, und Gelehrte und Klatschtanten hatten gleichermaßen darüber diskutiert – daher war Merrick über die plötzliche Enthüllung der Realität verblüfft.
Onika, der Prinz von Chioma, war ein schöner Mann. Seine Haut war glatt, dunkel und von der Farbe des starken Kaffees seines Königreichs. Er hatte ein energisches Kinn und einen schmalen, sauber gestutzten Bart – und außerdem Augen, die einem Menschen die Seele aussaugen konnten.
Merrick vergaß diese verrückte Situation. Er spürte Nynnias Hand auf seiner Schulter nicht mehr. Alles verblasste zur Bedeutungslosigkeit. In den Augen des Prinzen spielte all das keine Rolle.
Er taumelte, fiel auf die Knie und schlug sich die Schienbeine am Tisch an. Auch Schmerzen spielten keine Rolle. Onika war ein leuchtender Stern, der ihn herabzog – was immer der Prinz brauchte, Merrick hätte es ihm gegeben. Wenn er ihn um seinen Arm, um sein Herz, selbst um Nynnia gebeten hätte, er hätte ihm all das gegeben.
Dann ließ der Prinz die Hand sinken, und die zitternden Kristalle fielen wieder an Ort und Stelle. Auch der Bann, oder was immer es gewesen war, fiel von Merrick ab. Er atmete schwer durch den Mund, zitterte und war schweißnass.
Als der Diakon sich endlich erholte und wieder auf die Beine kam, waren all seine Gewissheiten in den Grundfesten erschüttert. Nichts, was er je erlebt oder gelesen hatte, erklärte, was gerade geschehen war.
Mestari zog den Stuhl, von dem er sich gerade erhoben hatte, zum Diakon hinüber und half ihm, sich zu setzen. »Haut einen um, nicht – das ist keine Schande, das geht jedem so.«
Der Diakon hatte Mühe, sein Zentrum zu finden, das eine, worauf er sich stets verlassen konnte. Es dauerte entsetzlich lange, bis es zurückkam. Schließlich brachte er mit zitternder Stimme heraus: »Was … was, bei den Knochen, war das?«
Nynnia setzte sich auf einen freien Stuhl neben ihm und nahm seine Hände. »Habt Ihr nie zuvor eine Berührung der Götter gespürt?«
»Götter?« Merrick stand viel zu sehr unter Schock, um länger den Mund zu halten. »Ich habe mit den kleinen Göttern nichts zu tun – sie sind die Domäne der Willenlosen und Verzweifelten«, stieß er hervor, ohne nachzudenken.
Dann bemerkte er, dass alle anderen so aussahen, als hätte er sie geohrfeigt. »Ich meine … ich weiß nicht.«
»Ihr habt genug gesagt«, knurrte Mestari gepresst. »Zu wissen, dass wir Erfolg haben, ist genug – selbst wenn sie zerstören, was wir geschaffen haben.«
»Wir sollten ihn nicht weiter befragen.« Der Prinz von Chioma hob eine perfekt manikürte Hand. »Was er weiß,
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