Die Saat der Erde Roman
um die Verletzten kümmerten oder die Gefallenen davontrugen. Als Cat beobachtete, wie die Prozession sich entfernte, wanderten ihre Gedanken zurück zu der seltsamen Vision, die vor ihrem geistigen Auge aufgeblitzt war, als sie den Ezgara-Menschen untersucht hatte. Einen Moment lang hatte sie Greg gesehen, wie er schlafend vor einem seltsamen, vielstämmigen Busch lag, von dem mehrere blasse Tentakel zu seinen Schläfen führten. Chel saß in der Nähe, gehüllt in ein langes, dunkles Gewand, und hielt Wache.
Weshalb hatte Segrana ihr das gezeigt? Sollte das Bild ihre Ängste beschwichtigen, oder bezog es sich auf etwas Reales?
Sie bedeckte mit einer Hand die Augen und massierte sich mit Finger und Daumen der anderen Hand die schmerzenden Schläfen. Dann straffte sie sich und rief den Trictra herbei. Ihre persönlichen Sorgen mussten so lange warten, bis die Lage geklärt war.
49 Chel
Es ging bereits auf den Abend zu, und seit der Flucht aus der befestigten Villa des Hegemonie-Gesandten waren fast vierundzwanzig Stunden verstrichen. Zwanzig Stunden war es her, dass sie im Tochterwald Glenkrylow eingetroffen waren, der in einem flachen Tal wenige Kilometer südlich von Waonwir lag. Es war Cheluvahars Idee gewesen, Greg hierherzubringen, denn er hoffte, den Wurzelgelehrten werde es gelingen, den versklavenden Staub der Traumlosen aus seinem Körper zu entfernen. Die Gelehrten berieten stundenlang und probierten verschiedene Busch- und Schlingpflanzenwurzeln in unterschiedlichen Kombinationen aus, bis Chel mit seinen einzigartigen Sinneswahrnehmungen bestätigte, dass sie eine sichere und wirksame Lösung gefunden hätten. Als Greg mit einem Extrakt der Ortha-Wurzel sediert worden war, hockte Chel sich vor ihn hin und beobachtete mit all seinen Augen, wie die bösartigen Partikel dahinschwanden.
Gleichzeitig befasste er sich mit einem steten Strom von Besuchern, mit Uvovo, die in Zweier- und Dreiergruppen im Wald eintrafen, nachdem sie aus ihren Siedlungen und aus Hammergard geflohen waren, wo Schwadronen brolturanischer Truppen alle Uvovo »wegen des Verdachts auf Zusammenarbeit mit terroristischen Agitatoren« festnahmen. Offenbar hatte die neue Einheitsregierung als Gegenleistung dafür, dass die Brolturaner Recht und Ordnung gewährleisteten, repressive Maßnahmen beschlossen. Paradoxerweise gehörte zu den Maßnahmen auch die Auflösung
und Entwaffnung des Darien-Freiwilligenkorps sowie die Umstrukturierung der örtlichen Sicherheitskräfte und die Bewaffnung bestimmter Polizeieinheiten.
Nun mussten Nahrung und Unterkunft für die geflüchteten Uvovo bereitgestellt werden (in manchen Fällen auch Heiler), dann sollten sie in kleine Gruppen aufgeteilt und zu den geheimen Höhlen und anderen Unterschlüpfen im westlichen Hinterland geschickt werden. Dann musste er noch seine Seherrolle wahrnehmen, die ihn vor die unerwartete Aufgabe stellte, Optimismus zu verbreiten und bei den Disputen unter Lauschern als Schlichter zu fungieren. Nach elf Stunden begann seine Wahrnehmung unter seiner Müdigkeit zu leiden. Deshalb bedeckte er seine Augen, ließ Greg in der Obhut Heiler Najuks zurück und kletterte auf einen nahe gelegenen Aussichtsbaum, um sich zu entspannen und alles in eine neue Perspektive zu rücken.
Aussichtsbäume zeichneten sich durch ihre Höhe und Stabilität aus, deshalb handelte es sich meist um Rakins, die sowohl auf Umara als auch auf dem Mond vorkamen. Die knotige Rinde war stark gefurcht und bot guten Halt. Chel spürte, wie seine Verspannungen sich beim Klettern lösten und seine Schmerzen schwanden. Seine Erschlaffung ließ nach, denn die körperliche Anstrengung weckte seine Kraftreserven. In tiefen Zügen atmend, kletterte er immer höher, schwelgte in den Gerüchen und dem Gefühl der Erneuerung, das ihn durchströmte.
Als er etwa ein Drittel des Wegs nach oben zurückgelegt hatte, drangen Stimmen durchs Laubwerk zu ihm heran, Menschenstimmen. Er wurde langsamer und hielt Ausschau nach den Sprechern. Dann kletterte er auf einen dicken Ast und sah die Männer auf einer mit einer Matte bedeckten Plattform liegen, die an der Astgabelung eines
nahen Baums verankert war. Als er Rory und einen der Firmanow-Brüder erkannte, winkte er ihnen zu, und Rory winkte zurück.
»Wie geht’s Ihrem Patienten, Chel?«
»Schon viel besser!«, rief Chel. »Er ist auf dem Weg der Besserung.«
»Ist damit zu rechnen, dass er in ein paar Stunden wieder auf den Beinen sein wird?«
Chel schüttelte den
Weitere Kostenlose Bücher