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Die Saeulen der Macht

Die Saeulen der Macht

Titel: Die Saeulen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Winter
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Rücken verschnürt. Vermutlich hatte dieselbe Person ihm auch die Knöchel fest zusammengebunden und ihn dann an eine in Trümmern liegende Mauer gelehnt. Wenigstens hatte sein unbekannter Peiniger– ein Soldat, möglicherweise auch Graf Zandarian, wie zu vermuten war– ihm einen vorteilhaften Aussichtsplatz gegönnt.
    Er lag unter dem Baum. Und der Baum, über dem die Nacht ihr Zelt ausgebreitet hatte, war lebendig. Unzählige Blätter hingen an den nicht länger schwarzen Zweigen. Funken tanzten über die Äste. Knospen öffneten und schlossen sich, verströmten einen Duft, der nur noch entfernt an Banoa erinnerte– als wäre die Droge eine Verheißung, die endlich erfüllt worden war.
    Â» Es ist unglaublich, nicht wahr? Wie schön er ist. «
    Tahan wandte den Kopf. Neben ihm saß Dasnaree, mit dem Rücken an der Mauer, und betrachtete mit Tränen in den Augen den brennenden Baum. Wie immer trug er Handschuhe, aber mit den Fingerspitzen liebkoste er ein Blatt, das er aus der Luft gegriffen hatte.
    Â» Ich bin ein Teil davon « , sagte Dasnaree mit bewegter Stimme. » Das ist noch unglaublicher als alles andere. Willst du mir nicht gratulieren, lieber Vetter? «
    Â» Was hast du getan? « Tahans Kehle war trocken, seine Augen schmerzten von all dem Licht und Blühen. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er keine Schmerzen. Seine gefesselten Gelenke waren taub geworden; da waren Prellungen, mit denen er sich später befassen konnte, aber der feine Schmerz, der ihn mit den Glassplittern durchdrungen hatte, war fort.
    Er hatte etwas verloren, von dem er nicht einmal wusste, was es war, doch er konnte es spüren, einen Verlust, so gewaltig, dass es war, als hätte ihm jemand das Herz herausgerissen.
    Â» Ree, verdammt, sag mir, was du getan hast! «
    Â» Du musstest ihn wecken « , sagte Dasnaree leise. » Es ging nicht anders, verstehst du? Ich habe es versucht. Ich bin so oft hier gewesen, ich habe gebettelt und gefleht– der Baum wollte mich nicht hören. Er wollte dich. Eine Berührung von dir, und er würde sprießen und wachsen und blühen. So sollte es sein, und so ist es gekommen. «
    Â» Wie…? «
    Â» Das Blut, verstehst du? Es braucht einen Nachfahren der terjalischen Könige. Ein Tropfen des Blutes der Götter fließt in uns allen, wusstest du das? Aus einem Kelch ihres eigenen Blutes schufen die Vier einst die Götter– die Kleinen, die Geringen und die Hohen. Einen Tropfen mischten sie in das Blut der Menschen, in einen unserer Vorfahren. Davon wussten die gottlosen Wiramer nichts. Der Baum konnte die Eroberer nicht fühlen, konnte sich nicht nach ihnen ausstrecken, sie waren nicht in der Lage, auch nur sein Flüstern zu vernehmen. Nur ein Mensch, der göttliches Blut in sich trägt, kann die Stimme der Götter hören. Wie ahnungslos die Wiramer waren! Sie verließen sich auf ihre Kriegskunst, aber sie wussten nichts von den vier Säulen der Macht. Nichts davon, wie die Macht von Vater zu Sohn übergeben wurde. Vier Anwärter wurden zu dem Baum gebracht, wenn der alte König starb, vier, die heilige Zahl, und der Baum wählte einen von ihnen. So wurde es Jahrtausende lang gehandhabt, bis die Wiramer die Thronfolge unterbrachen. Jahrhunderte brauchten die Mönche der Vier, um die Spur des königlichen Blutes wieder aufzunehmen. Noch einmal so lange mussten sie warten, bis es auf den Thron zurückkehrte. «
    Â» Aber… «
    Â» Es war nie vorgesehen, Tahan, dass du diesen Tag überlebst. « Genießerisch sog Dasnaree den Duft ein, der in der Luft lag. » Dein Erbe ist das stärkste, deshalb brauchten wir dich, um den Baum zu wecken. Du warst schon einmal hier in Rajalan, ist es nicht so? Seitdem rührt er sich im Verborgenen und webt seine Zweige in unsere Träume. Er will aufwachen, kann jedoch nicht, und im Schlaf spricht er zu allen, die ihn hören können. Wir mussten dich am Leben lassen, wiramischer Hund, denn keiner der Anwärter, den die Brüder herbrachten, vermochte den Baum zum Blühen zu bringen. Ein Stück Holz, das durchaus, aber nicht den Baum selbst. Nun hast du deine Aufgabe erfüllt, und wir haben dich nicht länger nötig. Du bist wie der König, der stirbt– mit dem Unterschied, dass du gehen musst, bevor du je an die Macht gelangt bist. Nun kommen die anderen Anwärter wieder ins

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