Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
Mann sein.« Sunnivah verdeckte des verräterische Mal auf ihrem Schulterblatt wieder unter ihrem Gewand und setzte sich zu ihrer Zimmergefährtin auf das Bett.
»Alles ist so geschehen, wie ich es dir berichtet habe«, sagte sie leise und sah Fayola fragend an. »Wirst du mich nun verraten? Oder mir helfen?«
Fayola schwieg und starrte zu Boden, während sie versuchte die ganze Tragweite dessen, was sie soeben gehört hatte, zu erfassen. Nur ein leichtes Zucken ihrer Mundwinkel verriet, unter welcher Anspannung sie stand.
Sunnivah wartete. Schweigend beobachtete sie, wie die ersten Sonnenstrahlen langsam über den Boden der Kammer wanderten und auch das letzte Grau aus den Ecken vertrieben.
Fayolas gleichmäßige Atemzüge waren lange Zeit das einzige Geräusch, wurden jedoch schon bald von dem geschäftigen Treiben des neuen Tages übertönt. Fayola schwieg noch immer. Sie würde sich entscheiden müssen zwischen dem Eid, den sie als Kriegerin An-Rukhbars geschworen hatte, und ihrem tief verwurzelten, aber sorgfältig verborgenen Glauben an die Gütige Göttin. Immer wieder stand ihr das Gesicht ihrer Mutter vor Augen, die geweint hatte als sie erfuhr, dass man das Kind mit dem Mal gefunden und getötet haben sollte. Fayola hatte damals erst fünf Sommer gesehen. Doch selbst in ihrem Alter konnte sie schon die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der Menschen ihres Heimatdorfes spüren, denen die Nachricht vom Tod des prophezeiten Kindes alle Hoffnung nahm.
Und dann dachte sie wieder an Alani. Das Bild des verzweifelten Mädchens in den Armen der Krieger, das sie unter Tränen um Hilfe anflehte, entfachte in ihr unvermittelt eine heftige Wut. Sie sah die vielen hungernden Menschen vor sich, die an jenem kalten Wintertag in der Hoffnung auf etwas Nahrung ihrem sicheren Tod entgegengestrebt waren.
Fayola seufzte, schloss die Augen und verbarg ihr Gesicht in den Händen, als könne sie damit die schrecklichen Bilder vertreiben.
Dann hob sie den Kopf und sah Sunnivah geradeheraus an. »Ich werde dich nicht verraten«, erklärte sie mit fester Stimme. »Aber ich weiß noch nicht, ob ich dir helfen werde!«
»Danke, Fayola«, sagte Sunnivah erleichtert. Eindringlich sah sie die junge Kriegerin an. »Bitte hilf mir!«, bat sie noch einmal. »Hilf unserem Volk sich aus der Unterdrückung und Knechtschaft An-Rukhbars zu befreien. Lass uns ihm seine rechtmäßige Göttin zurückbringen.«
Fayola schüttelte den Kopf und sah Sunnivah an. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir beide das ganz allein vollbringen können?«, fragte sie zweifelnd, doch der Blick in Sunnivahs Augen war unnachgiebig.
»Natürlich, du musst daran glauben«, fuhr Fayola fort. »Schließlich ist es deine Bestimmung. Aber was du vorhast, ist völlig unmöglich. Man wird dich gefangen nehmen, bevor du auch nur einen Fuß in die Gewölbe der Magier gesetzt hast.«
»Wenn du mir nicht hilfst, werde ich allein versuchen Naemy zu befreien«, sagte Sunnivah entschlossen. »Ich kann nicht zulassen, dass sie stirbt!«
»An deiner Stelle würde ich wahrscheinlich genauso handeln.« Fayola wirkte nachdenklich. Schließlich holte sie tief Luft und sagte: »Gib mir noch etwas Zeit, Sunnivah! Heute Abend werde ich dir sagen, wie ich mich entschieden habe.« Sie hielt inne und fügte dann hinzu: »Doch wie ich mich auch entscheide, du kannst dich darauf verlassen, dass ich dich nicht verraten werde. Aber nun müssen wir uns beeilen«, sagte sie, während sie sich erhob. »Es ist schon heller Tag und wir kommen ohnehin zu spät zu den Pferden.«
Der Tag verlief schleppend. Sowohl Sunnivah als auch Fayola wirkten häufig abwesend und hingen ihren eigenen, ganz unterschiedlichen Gedanken nach.
Sunnivah suchte nach einer Möglichkeit, die Nebelelfe zu befreien, während Fayola immer daran denken musste, dass man sie ebenfalls hinrichten lassen würde, wenn Sunnivah scheiterte und man entdeckte, dass sie in ihre Pläne eingeweiht gewesen war.
Als es dunkel wurde, wanderte Fayola lange ziellos durch die menschenleeren Gänge der Festung. Wie zufällig führte sie ihr Weg zu den Gewölben der Magier. Dort angekommen, ertappte sie sich dabei, wie sie ihre Umgebung auf mögliche Verstecke untersuchte und darüber nachdachte, welches wohl der kürzeste Weg zurück in ihre Kammer sein mochte. Noch immer war sie nicht bereit sich einzugestehen, dass sie ihre Entscheidung längst getroffen hatte. Das änderte sich erst, als sie auf dem Rückweg an den
Weitere Kostenlose Bücher