Die Samenhändlerin (German Edition)
hoch und trugen ihre Schuhe unterm Arm. Noch nie hatte Hannah einen so trockenen Boden gesehen – eigentlich war es reiner Sand! Dass ausgerechnet auf diesem kargen Flecken Land Tulpen besonders gut gedeihen sollten, konnte sie sich gar nicht vorstellen. Doch Helmut klärte sie auf, dass der Sandboden sogar die Voraussetzung für die Erfolge der Tulpenzüchter war.
Nach einer Stunde Fußmarsch vorbei an geduckten Bauernhöfen, Windmühlen und vielen akkurat gepflügten, kahlen Feldern erreichten sie schließlich die Blumenfarm des Tulpenzüchters Piet.
»Da ist er ja!«
Lachend winkte Helmut einem kleinen Mann zu, der wild gestikulierend zwischen drei Pferdefuhrwerken stand.
Der Tulpenzüchter schaute herüber, und auf seinem Gesichterschien ein breites Grinsen. »Die Schwaben!« Er winkte ihnen fröhlich zu. »Dass ich euch auch mal wieder begrüßen darf! Ich komme gleich zu euch.«
Helmut machte eine beruhigende Handbewegung. Geschäfte gingen vor, das kannte man ja.
Neben Piet stand eine Frau mit so roten Haaren, wie Hannah sie nie zuvor gesehen hatte. Sie hatte die Haare nicht zu einem Zopf gebunden, sondern trug sie offen. Die junge Frau schien sich angeregt mit den Fuhrleuten zu unterhalten.
»Was machen die Männer da?«, raunte Hannah Helmut zu. »Und wer ist die hübsche Frau?«
»Wenn ich mich richtig erinnere, ist das Piets Tochter«, sagte Helmut. »Wie es aussieht, wird gerade eine größere Menge Zwiebeln verladen. Piet verkauft ganze Schiffsladungen voll nach England, Schweden und sogar nach Amerika.«
Während er sprach, krempelte er seine sandigen Hosenbeine nach unten.
»Wir sehen aus wie Bettler!«, sagte er vorwurfsvoll zu Hannah. »Und nicht wie Kunden, die Geld in der Tasche haben.«
Hannah lachte. »Umso besser, dann könnt ihr den Preis ordentlich nach unten drücken. Falls dieser Piet überhaupt noch etwas hat, was er euch verkaufen kann …«
»Hier sind sie, meine Schätze!« Stolz wanderte Piets Blick über lange Tischreihen, auf denen Körbe voller glattschaliger Zwiebeln standen.
Schön waren sie ja nicht gerade, ging es Hannah durch den Kopf. Sie musste an die Geschichte jenes Hauses denken, das von seinem Besitzer für eine einzige Tulpenzwiebel fortgegeben worden war. Dass jemand überhaupt bereit war, für solche Zwiebeln Geld zu geben, geschweige denn hohe Summen! Was dort in den Körben lag, sah nicht sehr viel anders aus als ganz gewöhnliche Küchenzwiebeln.
Vergeblich sah sie sich nach einem Stuhl oder einer Bank um, auf die sie sich hätte setzen können. Nach der Hitze tat die Kühle des Lagerschuppens gut. Die Kaufgespräche schienen eine langweilige und langwierige Angelegenheit zu werden – dies sagte ihr ein Blick auf die Unmengen von Körben. Also sollte sie es sich währenddessen am besten so bequem wie möglich machen. Sehnsüchtig dachte sie an den Fischverkäufer, an dessen Stand sie auf ihrem Marsch hierher vorbeigekommen waren. Eine fette, geräucherte Makrele und ein Krug Bier … dazu würde sie jetzt nicht Nein sagen.
»Hier vorn haben wir die ›Duc von Tholl‹ in Rot, Gelb und Rosa, als Nächstes kommen die ›Tournesol‹, und dahinten folgen dann die ›Keizerskroon‹. Es liegt an euch zu entscheiden, was ihr wollt.« Piet hob fragend die Schultern.
»Die ›Duc von Tholl‹ sind niedrig wachsend und früh blühend, habe ich das richtig in Erinnerung?« Valentin zeigte auf einen der ersten Körbe.
»Genau. Wobei ich anmerken möchte, dass jeder Farbschlag besonders kräftig ausgeprägt ist – in Schalen und Beete gepflanzt, kommen sie ganz wundervoll zur Geltung. Ein Ergebnis langjähriger Züchtung, wie ich anmerken möchte. Und genau das, was die feine Kundschaft auf der ganzen Welt so sehr schätzt, wie ich ebenfalls anmerken möchte.«
Hannah gähnte. Dieser Piet schien einiges anmerken zu wollen! Wenn sie Tulpen in ihrer vollen Pracht bewundern wollte, musste sie nur im späten April auf den Gönninger Friedhof gehen. Dort, wo die Samenhändler ihrer Toten mit den prächtigsten Tulpen gedachten, wurde dem Auge jedenfalls mehr geboten als hier.
»Von den ›Duc von Tholl‹ nehmen wir auf alle Fälle welche, aber sollten wir nicht auch noch höhere und später blühende Sorten kaufen?«, sagte Valentin zu Helmut, der an den Tisch getreten war und einige Zwiebeln in der Hand wog.
»Schaut euch meine Bollen nur genau an!«, forderte Piet sie auf. »Sie sind von einwandfreier Qualität! Wir hatten ein gutes Jahr – nicht zu
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