Die Samenhändlerin (German Edition)
nichts mehr herbeisehnte als den Tag, an dem sein Schiff von Amsterdam aus in Richtung Amerika ablegen würde, grauste ihm gleichzeitig vor diesem Moment.
Mehr als zwei Wochen war er nun schon auf dem Tulpenhof. Wochen, in denen er sich an den Rhythmus des Haushaltes gewöhnt hatte.
An die Arbeit auf den Feldern.
An Piet, der schuften konnte wie ein Vieh, besessen von dem Gedanken, im nächsten Jahr eine noch höhere Ernte von noch höherer Qualität einzufahren. Der ihn stets mit einem Hauch von Argwohn betrachtete, dessen Ursprung Valentin nicht ergründen musste, über den er aber auch nicht allzu lange nachdachte.
An die salzige Luft, die nach Tang roch und nach den Heringen, welche die Fischer an jeder Ecke verkauften und die oft auch auf dem Speisezettel der Familie standen.
An Margarita und ihren Duft nach Kampfer.
Mit einem Seufzer wälzte er sich zur Seite, stützte sich auf seinen Ellenbogen. Ein Lächeln kroch über sein Gesicht.
Selbst im Schlaf sah sie aus, als hätte sie die Welt fest im Griff! Die Stirn war in schmale Falten gelegt, die Augen so streng geschlossen, dass feine Runzeln ihre Lider überzogen, und ein trotziger Zug umspielte ihre Mundwinkel.
Margarita, die sich von nichts und niemandem etwas sagenließ. Nicht von Piet, der ihr auf Holländisch Warnungen zuzischte, die ganz bestimmt ihn, Valentin, betrafen. Wahrscheinlich nicht einmal von ihrer eigenen inneren Stimme, die warnte und warnte …
Margarita, die so freigebig war mit ihrer Lebenslust. Die ihr Lachen und ihre Leichtigkeit verschenkte, großzügig, als wäre es Heilwasser aus einer der Quellen in den Kurbädern, die er und Helmut einst auf ihren Böhmenreisen besucht hatten.
Wie ein Ertrinkender hatte er sich an dieser Quelle genährt. Hatte mit vollen Händen daraus geschöpft, gierig getrunken, wollte mehr, immer mehr –
Elender Dieb!, schalt er sich. Dass sie nichts dafür forderte, rechtfertigte sein Verhalten beileibe nicht. Bald würde er gehen und sie zurücklassen. Aus welcher Quelle sollte sie dann Kraft für sich selbst schöpfen?
Sein Hals kratzte. Angestrengt versuchte er, sich auf Margaritas Gesicht zu konzentrieren und dabei ein Husten zu unterdrücken. Vergeblich.
Sie schlug die Augen auf. »Du hustest immer noch?«
Valentin winkte ab. »Eine leichte Erkältung, mehr nicht!« Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Vor ein paar Tagen war er mit Piet zusammen in Amsterdam gewesen. Piet hatte ihm den Frachter gezeigt, mit dem er und die Ladung Tulpenzwiebeln nach New Orleans reisen sollten. Mit offenem Mund hatte Valentin den riesengroßen Dampfer angestarrt, ungläubig, dass sich solch ein Riese überhaupt fortbewegen konnte. In all seinem Staunen merkte er nicht, wie sich direkt neben ihm ein Streit unter Matrosen anbahnte. Ehe er sich versah, landete er mitten unter ihnen und am Ende in der Kloake des Hafenbeckens. Triefnass und stinkend hatte er mit Piet den Rückweg angetreten – kein Wunder, dass es nun im Hals kratzte und er sich ein wenig fiebrig fühlte. Fehlte nur noch ein Durchfall – bei dem vielen Wasser, das er bei seinenverzweifelten Versuchen, sich an der rutschigen Kaimauer festzuhalten, geschluckt hatte, wäre eine solche Krankheit kein Wunder.
Unauffällig fasste er sich an die Stirn. Heiß.
Margarita schaute ihn aus ihren blassen braunen Augen an. Augen wie Treibholz, mit einem matten Glanz, poliert vom Sand und den Wellen und dem Salz des Meeres. Holz von weit her, angespült nach einer langen Reise, für immer angekommen.
»Geh nicht«, sagte sie unvermittelt.
Er schwieg. Sie blieb ebenfalls stumm, während sie ihre Hand auf seine Brust legte. Die Vertraulichkeit und Wärme dieser Geste rührte ihn so, dass es ihm die Kehle zuschnürte.
Oh, die Versuchung war groß! Margarita war eine Frau, mit der ein Mann glücklich werden konnte. Es gab Momente, in denen er sich einbildete, dass dies auch für ihn zutraf. Doch der Frieden solcher Momente wurde zerstört durch Augen wie Kieselsteine, geheimnisvoll gesprenkelt und so kühl … Durch silbriges Haar, das leicht wie Federn durch seine Finger glitt. Durch ein höhnisches Lachen.
Dein Kind ist tot! Ich habe es umgebracht, damals, im letzten Sommer. Weil ich es nicht wollte!
Es gab kein Entrinnen vor diesem höhnischen Lachen. Manchmal überfiel es ihn hinterrücks, manchmal kam es im Schlaf angeschlichen, wenn alles schwarz war vor Einsamkeit. Dann schrie er. Und Margarita war da. Hielt seine Hand, strich ihm den
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