Die Samenhändlerin (German Edition)
sehe er schon die Weite des Schwarzen Meeres vor sich. »Und das alles haben wir Hannah zu verdanken. Hätte sie uns nicht auf die Idee gebracht, dass wir die bestellten Samen auch verschicken können, hätten wir ein zweites Mal nach Böhmen reisen müssen. So aber können wir im Anschluss an die Böhmenreise direkt nach Russland aufbrechen und sind bis spätestens Mai wieder zurück. Für euch bedeutet das ab Januar natürlich mehr Arbeit. Ich kann nur hoffen, dass ihr mit dem Verpacken der Lieferungen überhaupt hinterherkommt!« Helmut lachte. »Nun müsst zur Abwechslung auch einmal ihr Weiber ran.« Das klang nicht sonderlich bekümmert.
Hannah, immer nur Hannah! Sie war es, die Helmut von zu Hause wegtrieb! Sie war schuld daran, dass sich diese fixe Idee in Helmuts Kopf eingenistet hatte. Er nannte es Träume! Wäre er mit ihr, Seraphine , verheiratet, würde er sich nicht in Träume flüchten müssen. Sie hätte ihm den Himmel auf Erden bereitet.
»Und Hannah kennt eure Pläne wirklich noch nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich es ihr beibringen soll. Sie …« Seine Stimme hatte plötzlich einen schmerzhaften Ton.
Seraphine nickte. »Ich weiß, was du sagen willst. Hannah würde dich am liebsten anbinden! Ihr passt es ja schon nicht, wenn ihr Männer ins Wirtshaus geht, dabei sollte man meinen, sie als Wirtshaustochter sähe das gelassen. Und dann ihre Unselbstständigkeit, dieses ewige Klammern – sie ist halt keine von uns, woher soll sie also wissen, dass man den geliebten Mann immer wieder ziehen lassen muss? Ob sie das je lernt …« Seraphine staunte über sich selbst. Dass ihr diese Worte gerade jetzt so einfielen!
Helmut runzelte die Stirn. »Mir fällt das Abschiednehmen auch schwer, das kannst du mir glauben. Valentin geht es natürlich ebenso«, setzte er hastig hinzu. »Aber du hast Recht: Uns liegt das Reisen einfach im Blut. Das war schon immer so!« Er verdrehte die Augen. »Himmel, jetzt höre ich mich schon an wie Mutter.«
Seraphine lächelte. Die Frostschicht auf ihrer Haut begann zu tauen. Vielleicht war alles doch nicht so schlimm. Sie war die Tochter eines Samenhändlers. Sie verstand, was in Helmut vor sich ging. Ihr konnte er sich anvertrauen. Und wenn er erst einmal auf dieser Reise war … nun, dann musste sie stark sein. So, wie sie tagtäglich stark sein musste. Hatte sie sich das nicht fest vorgenommen? Ihr Blick strich über Helmuts verschwitztes Gesicht.
Er nahm ihre Hand. »Jetzt, wo du Bescheid weißt, ist mir leichter ums Herz«, sagte er. »Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn ich Hannah auch so bald wie möglich alles erzähle. Sie muss sich einfach an den Gedanken gewöhnen, ohne mich klarzukommen.«
»Das würde ich nicht tun«, antwortete Seraphine eilig. Sie umklammerte seine Hand fester. »Ich meine, Hannah würde sich jeden Tag grämen, würde dir Vorwürfe machen und versuchen, dir die Russlandreise wieder auszureden! Diese Sehnsucht, die du verspürst, die versteht sie nicht!«
Helmuts Stirnrunzeln ließ sie rasch fortfahren: »Sie meint es sicher nicht böse, aber du hättest keine ruhige Minute mehr. Dabei brauchst du die Zeit doch dringend für deine Vorbereitungen.« Sie wies mit dem Kopf Richtung Tisch, der bis zum Rand mit Unterlagen übersät war. »Wenn du meine Meinung hören willst: Es ist wohl am besten, wenn du Hannah so lange wie möglich in Unwissenheit lässt. Wenn ihr erst einmal weg seid, hat sie Zeit genug, sich an die veränderten Umstände zu gewöhnen. Und ich bin ja auch noch da und helfe ihr, wo ich kann.« Auf den letzten Satz war Seraphine besonders stolz, auch wenn er fast die Galle in ihr hochbrachte.
Helmut schaute sie nachdenklich an. Nach einem kurzen Schweigen sagte er: »Ich glaube, du hast Recht. So kurz nach der Geburt will ich sie nicht unnötig aufregen. Wahrscheinlich ist es wirklich das Beste, wenn sie vorerst von nichts weiß.«
23
Als Sophia Brettschneider Ende Juni abreiste, vergoss Hannah bittere Tränen, denn sie fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie sich wiedersahen.
Hannahs Trauer währte nur kurz, denn wenige Tage nach Sophias Abreise eröffnete Helmut ihr, dass sein Bruder und er sich entschieden hätten, den Jakobihandel in diesem Jahr ausfallen zu lassen. Stattdessen wollten sie den kompletten Bestand an Dörrobst, den die letzte Ernte erbracht hatte, mit einem Schiff nach Amerika schicken. Das brachte zwar einen Haufen Schriftkram mit sich,
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