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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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kleine Gruppe von Kostgängern auf, die auch ganz still dastanden und sich unterhielten. Sie trugen schwarze wattierte Baumwolljacken und Filzmützen auf dem Kopf und hatten Bündel aus blauem Stoff unter den Armen klemmen. Das war die typische Aufmachung der niederen Beijinger Beamten der Hanlin-Akademie. Das Bündel unter ihrem Arm war ihre Amtskleidung, die sie erst bei Eintritt in das Yamen anlegten. Doch auch wenn die kleinen Beamten der Hauptstadt nur ein bescheidenes Einkommen hatten, konnten sie sich doch auf die Bestechungsgelder verlassen, die ihnen aus den Provinzen zuflossen; zumindest konnten sie auf den Bonus setzen, der unter dem Namen »Kohle für kalte Zeiten« bekannt war. Und selbst dann, wenn sie sich ganz besonders unbestechlich gaben und diesen Tribut zurückwiesen, müßte ihr gewöhnliches Salär genügen, um in Ruhe ihre Pfannkuchen und Krapfen essen zu können und nicht darauf angewiesen sein, zusammen mit dem Lumpengesindel in der Kälte um eine Schale Reissuppe anzustehen! Zhao Jia hatte nicht übel Lust, nach vorn zu gehen und sich diese Herren einmal näher anzusehen, aber er wußte, daß Beijing ein Ort voller verborgener Talente und heimlicher Machenschaften war, und es gut möglich war, im finstersten Winkel auf die fähigsten Männer zu treffen. So mancher, der auf der Straße vor seiner Schale Wantan-Nudeln hockte, konnte in Wahrheit ein großer Held sein. Ein wahrhaft großer Mann gibt sich nicht gerne zu erkennen, und wer sich gern zu erkennen gibt, der ist kein wahrhaft großer Mann. Der frühere Qing-Kaiser Tongzhi machte keinen Gebrauch von seinem illustren Harem, sondern vergnügte sich mit den billigen Prostituierten in Hanjiatan. Er verzichtete auf die Delikatessen der Palastküche und ging bis zur Himmelsbrücke, um dort Sojamilch zu trinken. Dem Henker ließ die Sache keine Ruhe. Wie konnte er bloß herausfinden, was die Beamten dort vorn dazu trieb, sich hier in die Schlange zu stellen, um etwas Reissuppe zu bekommen?
    Dennoch blieb Zhao Jia ruhig an seinem Platz und verwarf den Gedanken hinzugehen, um sie sich näher anzusehen. Der Duft der Reissuppe wurde immer aufdringlicher und die Menge rückte immer ungeduldiger auf, so daß der Abstand zwischen den Leuten geringer wurde. Dadurch näherte sich Zhao Jia immer mehr einem der ruhig dastehenden Männer. Dieser mußte nur den Kopf ein wenig wenden und schon könnte er sein Profil erkennen. Doch er stand in strammer Haltung da und blickte stur geradeaus. Alles, was Zhao Jia sah, war der ungebändigte Zopf an seinem Hinterkopf und sein vor Schmutz starrender Kragen. Seine Ohren waren voller eitriger Frostbeulen. Endlich kam der heißersehnte Moment und die Essensausgabe begann. Langsam bewegte sich die Schlange vorwärts. Auch Pferde- und Eselskarren und Leute mit Eimern über den Schultern zogen an den Wartenden vorbei, um an ihre Bekannten und Angehörigen direkt Reissuppe auszugeben. Je näher man dem großen Kessel kam, desto stärker wurde der Essensgeruch. Jetzt hörte Zhao Jia es doch in seinem Magen rumpeln. Diejenigen, die bereits ihre Portion abbekommen hatten, hockten sich an den Straßenrand oder eine Mauerecke und schlürften genüßlich ihre Schüsseln leer. Die Hände, die die Schüsseln hielten, waren alle so schwarz, als wären sie mit Lack überzogen. Die beiden Mönche, die an dem großen Kessel ihre langstieligen Schöpfkellen schwangen, füllten die Schüsseln, die man ihnen entgegenstreckte, mit ziemlicher Ungeduld, so daß die Suppe von den Schüsseln und den Löffeln tropfte. Ein paar räudige Straßenköter nahmen die Tritte der Wartenden in Kauf, um den herabgetropften Reis vom Boden aufschlecken zu können.
    Endlich kam die Reihe an den Mann, den Zhao Jia beobachtete. Er zog seine Schale hervor und hielt sie dem einen Mönch hin. Dieser machte ein erstauntes Gesicht. Die Schalen, die ihm hier normalerweise hingehalten wurden, waren eine größer als die andere, oft waren es eher ganze Waschbassins als einfache Schüsseln. Doch das blaugemusterte Porzellanschälchen dieses Mannes hätte man leicht mit einer Hand abdecken können. Der Mönch drehte vorsichtig die Schöpfkelle  – sie war größer als die Schale  – kippte sie nur ein bißchen aus, und schon war die Schale randvoll. Der Mann nickte höflich mit dem Kopf und suchte sich, sein Kleiderbündel unter dem Arm und die randvolle Schale in beiden Händen, mit gesenktem Kopf ein Plätzchen am Rand. Er hob seinen langen Rock etwas an, um

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