Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
bestätigt Herr Jauch.
Ich versuche, Herrn Müller nicht weiter daran zu hindern, ich halte Herrn Jauch für so vertrauenswürdig wie eh und je. Er würde uns keine Lügengeschichten erzählen. Nein, er nicht. Läge da Oliver Pocher vor uns oder Veronica Ferres, dann wäre das was ganz anderes, denen würde ich nichts abnehmen, das sind durchtriebene TV-Figuren im Vergleich zu Günther Jauch. Ich habe ihn mehr als tausendmal im Fernsehen gesehen und nie, bei keiner einzigen Gelegenheit, habe ich gedacht, dass das jetzt nicht so klug war, was er da gesagt hat. Ihm nehme ich alles ab. In diesem Moment die Fußfesseln.
»Danke«, sagt Herr Jauch, betrachtet seine nur leicht geröteten Handgelenke und richtet sich zum Sitzen auf. Er zieht sich die Kapuze herunter und fährt sich durch die plattgedrückten Haare, ohne dass es einen großen Effekt hätte. Er ist so herrlich uneitel.
»Dann reden wir mal drüber«, sagt er.
»Wir gehen am besten in die Küche«, sage ich. »Wollen Sie vielleicht auch ein Bier, Herr Jauch? Auf den Schreck, habe ich gedacht. Ich habe extra einen Kasten Krombacher gekauft.«
»Sie glauben ja wohl nicht, dass ich das Zeug privat trinke. Haben Sie Wein?«
Auf der persönlichen Ebene ist mir Herr Jauch sehr sympathisch. Wir gehen in die Küche und reden drüber.
Montag, 22.15
Günther Jauch hat uns erleuchtet. Könnte man sagen. Es ist wirklich verrückt, wovon man so alles keine Ahnung hat. Nachdem er uns die ersten zwei Gläser Wein lang ein bisschen was von seinem eigenen Weingut und aus seinem Privatleben erzählt hat, über seine Frau und seine Kinder – alles hoch spannend übrigens, davon liest man ja sonst nichts in den bunten Blättchen –, kamen wir schließlich aufs Geschäft zu sprechen. Aufs Entführungsgeschäft.
»Ich sag Ihnen mal was«, hat er gesagt, und dazu eine seiner typischen Günther-Jauch-Gesten gemacht, nämlich mit dem Finger auf uns gezeigt und die Augenbrauen hochgezogen, so schelmisch, besserwisserisch. Ich habe mich direkt gefühlt, als würde ich ihm im Fernsehen dabei zusehen, wie er einen Kandidaten belehrt oder eben: ihm mal was sagt. Und dann hat er uns aufgeklärt.
»Ich sag Ihnen mal was. Was glauben Sie eigentlich, wieso die Sommerpause im Fernsehen immer so ewig dauert? Das sind bis zu drei Monaten, je nach Sendung. Na? Natürlich, weil ständig die Moderatoren entführt werden. Das ist ein lukratives Geschäft. Sie sind ja jetzt auch draufgekommen. Die ganze Medienbranche weiß das natürlich, alle Zeitungen wissen es, aber die schreiben nix drüber. Das gehört nicht zum guten Ton, das ist wie mit den schwulen Fußballern. Keiner hat was davon, wenn es rauskommt. Wenn ich jetzt die Bunte anrufen würde, nächste Woche, und denen sagen würde, ich wurde grade entführt und sie sollen darüber schreiben, ja was glauben Sie denn, wohin das führt? Dann würden sie alle ihre Entführungsstorys auspacken. Dann stünde Harry Wijnvoord am nächsten Tag bei der BILD und würde denen erzählen, dass es in den Neunzigern noch viel aufregender war, entführt zu werden, so rough und ursprünglich, und ihn jetzt schon lange keiner mehr entführt hat. Und wenn der Wijnvoord dann ausgeredet hat, dann kommen gleichzeitig Howard und Wayne Carpendale, Iris Berben, Mike Krüger und irgendeine von den No Angels angerannt, um ihre geilen Entführungsgeschichten zu erzählen, und verstopfen da die Redaktionstür. Das würde gar kein Ende mehr nehmen. Und deshalb bleibt das alles schön unterm Teppich. Auf die Art gewinnen alle.«
Nach einer kurzen Trink- und Nachdenkpause, in der ich und – ich denke mal – auch die anderen von dem Gefühl übermannt wurden, bislang in einer völlig anderen, viel zu engen Galaxie mit riesigen Scheuklappen gelebt zu haben, dachte ich, ich sollte dann doch mal nachfragen und mir weitere Welten eröffnen.
»Und wer, ähm, hat jetzt genau was davon, außer den … also uns, den Entführern?«
»Genau«, pflichtete mir Herr Müller sinnloserweise bei. »Wer?«
Günther Jauch begann zu kichern.
»Sie sind so herrlich naiv. Das ist jetzt nicht böse gemeint, aber ich dachte, wenn Sie so ein Ding durchziehen, hätten Sie sich vorher vielleicht umfassend vorbereitet und auch mal das deutsche Steuerrecht studiert.«
»Was hat das denn nun damit zu tun? Sie werden ja wohl nicht behaupten, dass …«, fing ich an, und plötzlich klappte ein ganzer Schwung Türen zu neuen Universen auf. Plötzlich ergab das alles einen umfassenden Sinn.
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