Die Schatten von La Rochelle
sie um z w ei Uhr morgens im m er noch nicht m it der Arbeit fertig waren, »neh m t e s m i r nicht ü b el, a b er i c h muß Euch etwas fragen. Wenn das so weitergeht, habt Ihr bald das bestverwaltete Bistum im Königreich, aber wozu? Falls Ihr nicht gerade d e n Bürger m eister von La Rochelle bekehrt, wird es nie m and be m erken.«
Ja, wozu.
Seine Mutter hatte ihren jahrelangen Streit m it den Gläubigern ihres Gatten vor den Gerichten gewonnen. Da sie sich nach dem Tod ihres Ge m a hls geweigert hatte, sein Erbe das hauptsächlich aus Schulden bestand zu akzeptieren, war sie frei gewesen, um ihrerseits als seine Gläubigerin aufzu t reten, ge m äß den Gesetzen, welche die ererbten Ver m ögen s werte einer F r au besch ü tzten. Für di e t a tsäc h lichen Glä u biger d es verstor b enen François du Plessis de Richelieu war das ein unverschä m ter legalistischer Kniff einer Frau, der m an ihre Herku n ft aus einer Advokatenfa m ilie an m e rkte, und sie hatten sich geweigert, derartiges hinzun eh m en. Doch jetzt h a tte d a s Geric h t zu Suzanne de La Portes Gunsten entschieden und angeordnet, daß sie als Gläubigerin anerkannt wer d en m üsse und Anspruch auf zweiundzwanzigtausend Livres aus dem Nachlaß ihres Gatten habe, m it rückwirkend bis zum Jahr 1590 zu zahlenden Zinsen.
D a m it war sie der dringendsten Sorgen ledig, und ihr Sohn konnte einen großen Teil der Gelder von Luçon tatsächlich für das Bistum verwenden. Aber Le Masles Frage ging ihm i mmer wieder durch den Kopf: W ozu?
Er war hier in der Bedeutungslos i gkeit begraben, obwohl eine der berüh m test e n Städte d es Königreic h s in un m itt e lbar e r Nähe lag. Ar m and plagte schon lange die Neugier in bezug auf La Rochelle, und sie pla g te i h n i m m er heftiger. Er hätte die Stadt zu gerne ei n m al besucht, aber das war unmöglich. Erniedrigend genug, hier in Luçon är m lich aufzutreten, aber ein kat h olischer Bischof konnte nicht wie ein Bettler in der Hochburg des Protestantis m u s erscheinen und da m it die gesa m t e Kirche dem Gespött preisgeben.
Dennoch, die Vorstellung, La Roch e lle m it seinem Hafen ein m al leibhaftig zu sehen, war ungeheuer reizvoll. Eines Tages kam ihm eine Idee, d ie e r so f ort als läc he rli c h verwer f en wollte, was ihm jedoch einfach nicht m öglich war. Der Bischof von Luçon konnte nicht nach La Rochelle gehe n , aber war u m sollte ein anony m er j unger Edel m ann die Stadt n icht besuche n ? Nie m and würde sich u m einen solchen kü mm ern.
Das m it siebzehn Jahren eigentlich begrabene Bild vom Kapitän de Richelieu rührte sich in seiner Gruft und m a chte im m er heftigere Anstalten, ans Tageslicht zu kom m e n.
Warum nicht, dachte Ar m and i m m er häufiger, während er in seinem Bischofspalast m it den rauchenden Ka m i n e n, den von A m ador de La Porte finanzierten Möbeln und dem von Mada m e de Bourges besorgten T afelgeschirr saß, warum nicht?
Der junge Mann, der an einem der Stadttore von La Rochelle Einlaß begehrte, trug einen recht abgetragen wirkenden Federhut, der seine nach w achsende Tonsur bedeckte, und ein von Michel L e Masle ausgeborgtes Gewand, das ihn wie einen der är m eren jüngeren Söhne des Landadels aussehen ließ. Er gab seinen Na m en m it A r m and de La Porte u n d als Zweck seines Bes u ches den Wunsch an, a u f einem der Handelsfrachter anzuheuern.
Es war ein Glück, dachte Ar m and, daß es auch protestantische de La Portes gab. Seinen Onkel Charles zum Beispiel, und so konnte er sich z u r Not als einer seiner Cousins ausgeben, s o llte m an ihn danach fragen. Bald verschwand die Nervosität und V orsicht jedoch angesichts des betriebsa m en Stadtlebens, das sich ihm bot. Er wanderte durch die Kolonnaden m it ihren kleinen Geschäften und Ständen, at m ete den Geruch des Meeres und den W ind ein und stand schließlich am H a fen. Gerade segelte ein Drei m aster zwischen den Tür m en, welche zu beiden Seiten der Hafeneinfahrt standen, hinaus, und er folgte ihm m it den Augen, bis das Schiff von der vorgelagerten Landzunge verdeckt wurde. Dann drehte er sich abrupt um und kehrte wieder zu der Straße m it den Kolonnaden zurück.
Er fand einen Buchladen, der natürlich eine Menge verbotener Schriften führte, aber auch einige Werke, die er liebend g ern be s essen hätte. In Luçon gab es keine M ö glichkeit, B ücher zu er werben; dazu m ußte m an nach Paris schreib e n, um sie zu bestellen. Eigentlich konnte
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