Die Schattenfrau
stand ein Auto auf dem Weg, in etwa fünf Meter Entfernung. Zwei Gestalten waren undeutlich vor dem Haus zu sehen, auf dem Weg hinein oder heraus. Man konnte die Gesichtszüge nicht erkennen, aber es waren eine erwachsene Person und ein Kind.
Winter hatte sich nach kurzem Zögern auf den Weg gemacht. Zuvor aber hatte er Michaela Poulsen angerufen und ihr von der Fotografie in der Aalborgs Stiftstidende berichtet.
»Es muss sich doch feststellen lassen, wann genau die gemacht wurde«, hatte Winter aufgeregt gesagt.
»Natürlich. Ich wende mich an die Zeitung. Und an den Fotografen, wenn er noch lebt.«
»Wärst du so nett und würdest mir so schnell wie möglich eine gute Vergrößerung schicken? Mit der wir weiterarbeiten könnten?«
»Natürlich«, hatte sie geantwortet.
Der Wind zerrte an seinem Haar. Von oben auf dem Deck beobachtete Winter, wie Dänemark immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand. Es dämmerte schon. In internationalen Gewässern angekommen, hatte es aufgehört zu regnen. Winter fühlte sich fiebrig, sein Puls ging schnell. Er war halbwegs zu Hause. In der Bar, die gut besucht war, saßen die Gäste mit glänzenden Augen da und tranken. Sogar einige im Rollstuhl waren darunter. Praktisch, musste Winter denken, wenn man mal so richtig einen heben will.
Auf den Tischen türmten sich Flaschen und Dosen zu riesigen Bergen. Winter kam sich vor, als hätte es ihn ins Mittelalter verschlagen als Gast bei einem Trinkgelage.
Winter verließ die verräucherte Bar und ging wieder an Deck, um ein wenig Frischluft zu tanken. Vielleicht würde ihm dort draußen sogar ein Zigarillo schmecken. Der Katamaran passierte Vinga. Enten flogen auf, schwarze Punkte am Abendhimmel. Der Leuchtturm schickte Lichtkegel über das Wasser. Winter rauchte. Er war jetzt wieder ruhiger. Der Katamaran fuhr an Arendal vorbei, und sie kreuzten ein paar große Fähren, die Skandiahamnen ansteuerten. Ihr Anblick erinnerte Winter an die Wohnklötze in Biskopsgärden, nur dass statt Satellitenschüsseln tausende von Bullaugen hinauf ins All zu starren schienen.
Winter betrat sein Büro im Präsidium. An der Wand schimmerten die Zeichnungen im Licht, das von draußen ins Zimmer drang. Er knipste die Schreibtischlampe und die Deckenbeleuchtung an und stellte sich vor die Bilder. Es war, als hätte die dänische Flagge auf den Abbildungen jetzt eine andere Bedeutung.
Der Weg verlief noch immer durch Wald.
Eine Windmühle bewegte ihre Flügel.
Die Straßenbahn fuhr irgendwohin.
Winter wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Er fühlte sich nach der Reise müde und gleichzeitig erregt, ein Gefühl, das sich aus verschiedenen Fassetten zusammensetzte, wie das wiederkehrende Motiv auf den Kinderzeichnungen. Sonne und Regen, gleichzeitig.
Ringmar klopfte an die offene Tür und kam herein. »Willkommen zu Hause.«
Winter wandte sich um. »Danke. Wie sieht's aus?«
»Das sollte ich wohl fragen.«
»Wie ist es euch mit dem Fahrer ergangen?« »Er sagt, sie könnte es sein.«
»Dann haben wir das Gebiet vielleicht etwas eingegrenzt, in dem wir das Mädchen suchen können«, meinte Winter.
»Es ist allerdings kein kleines Gebiet, die Linie fährt eine große Runde... «
»Mir ist was Merkwürdiges passiert«, erzählte Winter. »In einer Zeitung von damals, von 1972, habe ich eine Fotografie gefunden, von jemandem, der Helene sein könnte, aber ich habe die ganze Zeit nur an die hier gedacht.« Er wies auf die Zeichnungen an der Wand. »Das Mädchen sah aus wie Jennie.«
»Was ist so merkwürdig daran?«, fragte Ringmar.
»Verstehst du nicht? Alles fließt ineinander. Bald weiß ich nicht mehr, wer wer ist. Oder bin ich nur müde?«
»Du siehst verdammt blass aus, Erik. Geh nach Hause und ruh dich aus.«
»Ich muss was lesen.«
»Geh heim, ruh dich aus und lies dann.«
»Hast du das Protokoll von deinem Gespräch mit dem Chauffeur?«
Halders trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Er hatte nicht die ganze Arbeit allein gemacht, aber er war dafür verantwortlich. Ich, der Executive Inspector, dachte er stolz. Das alles fällt in meinen Verantwortungsbereich.
Das Material war ordentlich in Mappen aus grauem und durchsichtigem Plastik verteilt, und er, Halders, war der Erste, der das Ergebnis ihrer Bemühungen vor sich hatte: 124 Autobesitzer, die einen Ford Escort fuhren, der ein H als ersten Buchstaben im Kennzeichen hatte.
Sie hatten niemanden verhaftet. Eigentlich hatten sie auch nichts Auffälliges
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