Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
er wirklich war, ein Wesen von außerordentlicher Niedertracht oder von unglaublicher Milde. Vielleicht war er beides, und Lonerin verspürte den Impuls, niederzuknien und ihn zu verehren. Wie hätte man sich in seiner Gegenwart auch anders verhalten sollen? Sei vorsichtig: Er ist der Tyrann. Sein Erscheinungsbild ist ohne Wert, denn er ist ein Meister der Täuschung. Lass dich nicht in die Irreführen durch seine Hinterlist.
Lonerin versuchte, sich der Faszination zu entziehen und den Bann zu brechen. Zu Lebzeiten war Aster die Verkörperung des Schreckens, ein Mann, der Tausende Unschuldiger umgebracht hatte. So musste er ihn sehen. Musste ihn entkleiden von diesem Schleier der Allmacht, mit dem er sich ihm jetzt präsentierte, musste schauen, was dahinterlag, hinter seiner Schönheit und seinem traurigen Blick, musste ihn sehen als das, was er war: ein seit vierzig Jahren toter Knabe, oder genauer, ein alter Mann, der zu Recht den Tod gefunden hatte. Und er, Lonerin, hatte ihn in das Schattenreich zurückzujagen, aus dem er gekommen war.
»Wer bist du?«
Lonerin versuchte, der Sanftheit seiner Stimme nicht zu erliegen. »Das ist nicht von Bedeutung«, antwortete er, doch mit unsicherer, brüchiger Stimme. »Ich bin der Mann, der es dir verwehrt, deine Pläne in die Tat umzusetzen.« Ein bitteres Lächeln erhellte dieses Gesicht von übermenschlicher Schönheit. »Was sollen das für Pläne sein?«, fragte er ohne Andeutung von Hohn.
Lonerin war aus dem Konzept gebracht. Nur mit Mühe konnte er einen klaren Gedanken fassen und schließlich die richtigen Worte finden.
»Du schickst dich an, den blinden Glauben deiner Anhänger dazu zu nutzen, um wieder in diese Welt zurückzukehren. Doch du gehörst der Vergangenheit an, und auch die Gilde hat ihr Recht, auf dieser Welt zu sein, verwirkt. Ich werde sie vernichten, und den vielen Tausend Opfern, die du mit der Sekte gemeuchelt hast, endlich Frieden schenken.«
Aster lächelte sanft. »Sprichst du von Yeshol und den Assassinen?« »Versuch nicht, mich hinters Licht zu führen«, erwiderte Lonerin verwirrt. »Mir kannst du nichts vormachen. Ich kenne dich genau. Zu vieles habe ich von dir gehört und gelesen.«
»So, spricht man noch von mir?«, fragte Aster verwundert. »Ist mein Andenken noch nicht von der Erde getilgt worden?«
»Du weißt selbst, dass dem nicht so ist.«
Mit entwaffnend ehrlicher Miene sah Aster ihn an, und Lonerin ging auf, wie schwierig es für Nihal gewesen sein musste, dieses so tückische, scheinheilige Wesen richtig einzuschätzen und zu besiegen.
»Ich weiß, dass mich Yeshol und die Seinen verehren«, fuhr Aster fort. »Als ich noch unter den Lebenden weilte, schaute er sich bei mir ab, wie man einen Gott verehrt, und hing stets an meinen Lippen. Er war ein treuer, starker Diener, und deswegen nährte ich seinen Glauben und machte ihm vor, ich sei jener Mann, von dem die Prophezeiungen der Lehre Thenaars sprachen. Das Verlangen nach Gewissheiten treibt ja die Menschen zu extremem Tun, und haben sie etwas gefunden, woran sie glauben können, lassen sie sich noch nicht einmal vom Tod widerlegen. Deshalb erlaubt es sich Yeshol auch heute noch, meinen Geist zu belästigen, weil er sich nie mit meinem Hinscheiden abfinden konnte.« Lonerin wurde immer verwirrter. »Wie auch immer, je denfalls musst du zurück ins Reich der Toten, aus dem du gekommen bist.« Aster ließ den Blick auf ihm ruhen, und der junge Magier fühlte sich wie durchbohrt davon. »Nichts lieber als das. Glaubst du denn, es gefiele mir, in diesem sinnlosen Zwischenreich umherzuschweben?«
»Ich glaube, dass du in unsere Welt zurückkehren möchtest, um das zu vollenden, was du einst begonnen hattest. Zu diesem Zweck hast du leichtgläubige Wesen deinem Willen unterworfen, Personen, von denen du wusstest, dass du ihr einziger Lebensinhalt bist«, antwortete Lonerin im Brustton der Überzeugung.
»Du hast eine seltsame Vorstellung vom Tod, die Vorstellung aller Lebenden«, erwiderte Aster. »Glaubst du im Ernst, deine Mutter im Jenseits wünschte sich, dass du die Gilde vernichtest, damit sie in Frieden ruhen kann?«
Lonerin war bis ins Mark getroffen. »Was weißt du von meiner Mutter?«, zischte er.
»Ich weiß, dass Yeshol sie umgebracht hat. Es war seine Klinge, die sich ihr ins Herz bohrte. Und ich weiß, dass deine Mutter zufrieden starb, weil sie sich sicher war, dass du weiterleben würdest. Für jemanden zu sterben, den man liebt, ist der schönste
Weitere Kostenlose Bücher