Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
Geheimnis wie seine Mutter selbst. Obwohl er noch nie mit ihr geredet hat, flößt sie ihm eine gewisse Sympathie ein. Sie ist die Gattin Neors, und alles an ihr erinnert ihn an seinen Onkel. Bangen Herzens legt er die Hand auf die Türklinke, und als er eintritt, erblickt er eine ältere, schwarz gekleidete Dame mit langen weißen Haaren unter einer noch weißeren Haube, die ihn kalt und abweisend anblickt.
»Da seid Ihr ja endlich.«
Learco begrüßt sie, indem er das Haupt neigt.
Sibilla steht auf und geht ihm lautlos entgegen. »Eure Mutter wartet schon seit Tagen auf Euch. Es geht ihr immer schlechter, und ich fürchtete schon, Ihr würdet nicht mehr rechtzeitig kommen.«
Learco schluckt. Mit einem Mal fühlt er sich verwirrt und erschrocken. Das alles kommt ihm so unwirklich wie ein Traum vor. Kein Wort bringt er heraus, beschränkt sich darauf, Sibilla mit dem Blick zu folgen, die jetzt behutsam die Tür zu dem Gemach seiner Mutter aufzieht und dann im Dunkel des Raumes verschwindet, sodass Learco nur noch ihre Worte hört.
»Herrin, Dohors Sohn ist hier . . . «
Learco rührt sich nicht, ist wie versteinert durch diese Bezeichnung. Dohors Sohn. Ist er nichts anderes für seine Mutter?
Mit strenger Miene taucht Sibilla aus dem Dunkel auf und gibt ihm ein Zeichen. »Kommt.«
Der erste Schritt ist der schwerste. Seine Beine zittern so stark wie damals, als er zum ersten Mal ein Schlachtfeld betrat. Im Stillen dankt er dem Dämmerlicht in dem Raum, das es ihm ermöglicht, sich dem Blick der Frau, die dort im Bett liegt, zu entziehen. Der durchdringende Geruch von abgestandener Luft und Tod steigt ihm in die Nase. Die Fensterläden sind angelehnt, und das Licht, das durch die Ritzen einsickert, wirft scharfe Feuerzungen auf den Fußboden. Nach und nach gewöhnt sich Learco an das Halbdunkel, und ihm fällt das karge Mobilar auf, mit dem der Raum ausgestattet ist. An den Wänden bangen bloß zwei Bilder, in einer Ecke steht eine Truhe und davor ein nicht eben großer Tisch. In der Mitte des Raumes thront ein großes Bett unter einem kunstvoll gearbeiteten Baldachin, während der Boden bis zu den Wänden mit schweren Teppichen ausgelegt ist, die die Schritte dämpfen.
Verwirrt, mit pochendem Herzen, tritt Learco vor. Eines der Bilder zeigt seine Mutter als junge Frau mit feinen Gesichtszügen wie ein kleines Mädchen und kastanienbraunem, leicht gewelltem Haar, das auf ihre schmalen Schultern fällt. Es ist zu düster, um die Farben zu erkennen, doch Learco weiß, dass diese Augen so grün sind wie seine eigenen. So hat er sie immer in Erinnerung gehabt, schön und unnahbar. Nun jedoch weiß er nicht einmal, wie ihr Gesiebt aussieht. Bevor er an das Kopfende ihres Bettes tritt, wirft er noch einen Blick auf das andere Gemälde. Ein kleiner Junge von nicht einmal drei Jahren in stolzer, königlicher Haltung, blickt starr geradeaus, mit einem ernsten Gesicht, das nicht zu seinen kindlichen Zügen passen will. Die Haare sind dunkelblond, und Learco weiß, um wen es sich handelt.
Es ist der andere Learco, der einzige Sohn, den Sulana als den ihren anerkannt hat. Der Bruder, den das Rote Fieber aus dem Leben riss, jener Junge, den alle als so besonders hinstellen. Sobald ihm selbst etwas misslingt, vergleichen ihn der Vater und jeder bei Hof sogleich mit diesem anderen. Unerreichbar und vollkommen ist er, aber nur weil er nie dazu kam, die Erwartungen von irgendjemandem zu enttäuschen. Learco weiß, mit diesem Ideal kann er, der hingegen heranwuchs und sich zum Mann entwickelte, nie konkurrieren.
Ein trockenes Röcheln reißt ihn aus diesen traurigen Gedanken. Unter den Decken, die nur wenig gewellt sind und kaum die Formen eines Körpers erkennen lassen, hat sich etwas bewegt.
Sibilla führt ihn bis Zu dem Bett, wendet sich dann wortlos ab und lässt ihn allein. Unter den schweren Decken fast erstickend, liegt seine Mutter. Ihre weißen Haare haben sich wirr auf dem Kopfkissen ausgebreitet, und ihr eingefallenes, von Siechtum gezeichnetes Gesicht wirkt gespenstisch. Ihre knöchernen, knotigen Hände liegen auf der Decke, ihr Mund steht offen und ist zu einer Grimasse verzogen, die Learco mit Schrecken erfüllt. Er kann nichts dagegen tun, aber dieses Gesicht, von dem er so lange Jahre geträumt hat, ruft einen Anflug von Ekel in ihm hervor. Er weiß, dass er zu spät gekommen ist. Er hat Angst, eine wahnsinnige, blinde Angst, die gleiche Angst wie damals, als die bestialischen, verzweifelten Schreie der
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