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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Kärntner Turm, der vor drei Tagen halb zerschossen worden war, mit Holz aus den abgerissenen Gebäuden wieder aufgebaut und gleichzeitig die Mauer aufgestockt so gut es ging, um die Männer vor den Kugeln der Feinde zu schützen.
    Je weiter Madelin nun ins Kärntner Viertel vordrang, desto mehr glich Wien einem Trümmerfeld. Die Kanonen der Osmanen besaßen nicht die Schusskraft, die ganze Stadt zu beschießen, doch die Häuser im Osten, Süden und Westen, die nahe der Ringmauer lagen, befanden sich allemal in der Reichweite der Geschütze. In vielen Dächern klafften große Löcher, manche waren von vielen Treffern ganz eingestürzt. Trümmer und Bauschutt füllten die Straßen. Und obwohl die Bürgerwehr damit beschäftigt war, Platz für die Soldaten zu schaffen, musste man doch teilweise mehr klettern als gehen und genau schauen, wo man den Fuß hinsetzte. Im Augenblick war die Wahrsagerin eigentlich ganz froh über die klare Nacht und den hellen Mond, denn das bedeutete, dass sie keine Laterne mitschleppen musste.
    Die Kälte der letzten Woche hatte sich gehalten. Leider war es niemals so kalt, dass der Boden wirklich durchfrieren würde - Bodenfrost würde die Türken am Minieren hindern.
    Auch heute, am siebten Tag des Oktobermonats, hatte sich
der Beschuss der Türken nur wenig gemindert. Selbst nachts hielt das Feuer an - wenn auch weniger zielgerichtet. Gestern hatten die Wiener dann die erste Niederlage einstecken müssen. Eck von Reischach war mit über eintausend Knechten und einigen Hispaniern aus dem Salztor an der Donau ausgefallen und hatte sich frühmorgens durch die Fischervorstadt um die Stadtmauer herum nach Süden durchgearbeitet. Sie hatten die Osmanen bei Sankt Ulrich und Sankt Theobald überfallen wollen. Die Landsknechte hatten für den Marsch durch die Fischervorstadt und den frisch ausgehobenen Stadtgraben sowie über den Wienfluss mehrere Stunden gebraucht.
    Der Überfall, der im Morgengrauen hatte stattfinden sollen, war kurz vor Mittag von den Truppen der Osmanen entdeckt und mit heftigem Abwehrfeuer beantwortet worden. Die Landsknechte waren geflohen wie die Hasen und hatten sämtliche anderen Truppen mitgezogen. Man sagt, ein Teil von ihnen sei gar ausgesperrt worden, weil die Fliehenden so große Furcht davor hatten, dass die Osmanen ihnen in die Stadt folgten. Der Angriff war im Debakel geendet und hatte mehreren Hundert Männern das Leben gekostet. Seitdem war mit dem Salztor das letzte Tor völlig eingegraben und verbarrikadiert worden. Das bedeutete, dass sich die Verteidiger jetzt auf die Abwehr konzentrieren würden. Offenbar hielten sie die Offensive mittlerweile für zu riskant.
    Der Mondschatten der Häuser teilte die Straße in krasse Dunkelheit und hellen Schimmer. Madelin hastete weiter, bis sie schließlich beim Schergenhaus ankam, einem zweigeschossigen alten Fachwerkhaus mit schiefem Erker, dessen Butzenglasfenster sie lauernd anzustarren schienen. Moos bedeckte die Balken, und die Mauern wirkten, als seien sie schon lange nicht mehr neu verputzt worden.
    Die Schwärze nistete in den Ecken und Vorsprüngen, als
wolle sie den Bewohnern des Hauses eitel Gelegenheit geben, sich vor dem Licht Gottes zu verbergen. Jetzt, da Madelin angekommen war, wunderte sie sich über den Mut, der sie hergeführt hatte. Zumal sie allein war! Franziskus lag völlig erschöpft danieder und hatte sie nicht aufhalten können; Erisbert hatte sie wortreich für verrückt erklärt. Miro und Scheck halfen wie Lucas bei den Verteidigungsmaßnahmen.
    Jetzt stand sie hier und konnte nicht einmal auf Hilfe hoffen, wenn sie rief - selbst wenn sie nicht gerade einen Augenblick erwischte, in dem das Donnern der Kanonen und Arkebusen alles andere übertönte, waren Schreie in einer belagerten Stadt mit vielen Verwundeten nicht gerade eine Besonderheit.
    Madelin wappnete sich innerlich. Der Leichnam Woffenbergers kam ihr in den Sinn sowie der Plan auf den Trionfi-Karten, die sie wohlweislich bei Franziskus gelassen hatte, schließlich die Osmanen, die möglicherweise jetzt gerade unter ihren Füßen eine Mine gruben, um den nahen Neuen Markt in die Luft zu sprengen. Und Anna, von der sie hier Nachricht erhalten sollte. Sie nahm ihren Mut zusammen, griff sich das Stück Holz, das sie auf dem Weg hierher eingesammelt hatte - vermutlich das Bein eines kaputten Stuhls - und trat auf die Tür des Hauses zu.
    Das Klopfen klang hohl. Madelin lauschte auf eine Reaktion im Innern, doch sie hörte nichts. Einige

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