Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
keine Scheidung ausgesprochen.«
»Ich brauche keine Scheidung, um zu gehen.«
»Solange du mein Weib bist, wirst du dieses Haus nicht verlassen. Tust du es doch, lasse ich dich suchen und wieder hierher schleppen. Dasselbe gilt für Kephallion.«
»Was soll das?«, fragte sie. »Du solltest froh sein, dass ich gehen will, nach allem, was ich dir angetan habe: Ich habe dich betrogen. Ich fand es schön. Ich habe ein Kind mit einem Römer gemacht. Ich würde es jederzeit wieder tun. In Wahrheit bin ich schon lange nicht mehr deine Frau, und Kephallion war noch nie dein Sohn.«
So kalt wie jetzt hatte Kephallion seinen Vater noch nie sprechen hören: »Eben weil du mir all das angetan hast, wirst du hierbleiben. Du wirst deines Lebens nicht mehr froh werden. Ich halte unsere Feindschaft noch lange durch, du allein wirst langsam an ihr kaputtgehen.«
Zacharias behielt Recht, und Kephallion hatte seinen Anteil daran. Nachdem er das über seine Mutter gehört hatte – aus ihrem eigenen Munde -, hasste er sie. Für ihre Lust also hatte er büßen müssen. Ihretwegen war er niemandes Sohn, ihretwegen verachtete Zacharias ihn. Und ihretwegen gehörte er nicht zum auserwählten Volk. Doch außer ihm selbst wussten nur noch zwei Menschen davon – und Gott. Seine Eltern würden schweigen, und Gott würde er noch überzeugen, dass er würdig war, den Auserwählten anzugehören. Fortan redete er wie Zacharias mit seiner Mutter, und der Schmerz darüber machte sie von Jahr zu Jahr schwächer, bis sie daran starb. »Weib, du bist Sünde«, hatte er ihr zuletzt ins Ohr geflüstert.
Doch von seinem Vater erhielt er dafür keine Anerkennung. Für nichts, was er tat, nicht für die Befolgung der Gebote, die Einhaltung der Festvorschriften, das Studium der Propheten … Zacharias schmähte ihn weiterhin und versuchte, ihn zu treffen, wo er konnte. Dafür war dem Alten jedes Werkzeug recht, so auch Salome, die er nur deshalb aufgenommen hatte, um ihn, den Bastard, zu beleidigen.
Doch zum ersten Mal ergab sich die Gelegenheit, Zacharias mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Salome, sein Werkzeug, sein hochgelobter Schützling, entpuppte sich als Sünderin wie zuvor sein Weib. Kephallion kostete jeden einzelnen Moment seines Triumphes aus. Zacharias sollte diejenige zerstören, die er selber aufgebaut hatte.
»Wenn ich selbst der Tetrarchin die Anklage vortrage«, meinte Kephallion, »wirkt es weniger glaubwürdig, als wenn du es tust.«
»Du verlangst von mir …«
»Soll sie etwa ungestraft davonkommen? Soll sie auch noch ermutigt werden und später ihren Gatten betrügen? Ihm die Kinder ihrer Ehebrüche unterschieben? Ihn zu einem Narren machen, so wie einst …« An dieser Stelle machte er eine bedeutungsvolle Pause. »Willst du dich mitschuldig daran machen, dass Salome sich weiterhin am Gesetz Gottes vergeht? In diesem Moment, während wir hier reden, sündigt sie wahrscheinlich schon wieder. Und Gott sieht es. Er sieht alles, was in seinem heiligen Land vorgeht. Er verlangt, dass du etwas dagegen unternimmst. Du musst sie anklagen, sobald die Tetrarchin zurück ist.«
Zacharias wandte sich von Kephallion ab, ging zum Fenster und blickte unsicher in das Grün hinaus. »Lass mich bitte allein«, bat er Kephallion ungewöhnlich mild.
»Ach ja«, fügte Kephallion noch hinzu, bevor er den cheder verließ. »Der Grieche lehrt Salome Grammatik, Mathematik, Redekunst, kurz gesagt, heidnische Wissenschaften. Die heiligen Schriften, die du lehrst, scheinen sie nicht mehr zu interessieren.«
Timon stemmte sich der Welle entgegen und ertrug ihre Wucht, dann kraulte er mit schnellen Armstößen hinaus ins Meer. Obwohl der Wind nicht stark war, türmten sich die Wogen höher als sonst auf. Die starke Strömung kostete Timon viel Kraft, aber er schwamm unverdrossen weiter, hielt das Gesicht meist unter Wasser und streckte es nur alle fünf Armschläge kurz über die Oberfläche, um einen schnellen Atemzug zu nehmen. Auch als er schon nicht mehr wusste, wie viele Armschläge er gemacht hatte, und ihn jedes Gefühl dafür verlassen hatte, wie weit er mittlerweile von der Küste entfernt war, hielt er nicht inne. Sein Herz schlug wild, seine Arme waren fast taub, aber er schwamm immer weiter. Völlige Erschöpfung war immer schon seine Art gewesen, Klarheit in die Gedanken zu bringen.
Damals, in Jerusalem, wo es kein Wasser zum Schwimmen gab, hatte er in Stunden der Verwirrung oder des Zorns seine Stute genommen und war
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