Die Schlucht
nicht mit der Frau. Ich habe den Wirt gefragt, wo sie herkommt, aber er wusste es auch nicht. Sie ist einige Zeit, nachdem Bullertons Frau in die Schlucht gestürzt war, auf einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht.«
Sie beendeten ihr Frühstück und gingen nach unten. Als sie draußen auf dem Parkplatz in den Audi steigen wollten, kam ihnen Lord Bullerton wutschnaubend entgegen.
»Ist das denn zu fassen?«, wandte er sich ohne ein Wort des Grußes an Tweed. »Dieser Dummkopf von einem Chauffeur sollte mich längst abholen, aber er ist wie vom Erdboden verschwunden. Keine Ahnung, wo sich der wieder rumtreibt. Dem werde ich gehörig die Leviten lesen!«
»Wohin wollten Sie denn fahren?«, fragte Tweed.
»Zurück nach Hause. Ich habe in der Stadt ein paar Besorgungen gemacht, und jetzt stehe ich mir hier die Beine in den Bauch …«
»Wir könnten Sie mitnehmen«, bot ihm Tweed an.
»Das wäre sehr freundlich von Ihnen«, sagte Bullerton und beruhigte sich ein wenig. »Ich nehme Ihr Angebot gern an.«
Paula öffnete die Beifahrertür des Audi und deutete Bullerton mit einem Lächeln an, dass er Platz nehmen könne, bevor sie selbst hinten einstieg.
Als sie losfuhren, kam ihnen Mrs Grout mit einer schweren Einkaufstasche in der Hand entgegen. Sie winkte Tweed fröhlich zu, bevor sie weiter die Straße entlangging.
»Die hat mir gerade noch gefehlt«, knurrte Bullerton, und seine schlechte Laune kehrte mit einem Schlag zurück. » Krokodile! Die Alte hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
17
Als Margot die Eingangstür öffnete, schob sich Bullerton an ihr vorbei und verkündete, dass er sofort in sein Arbeitszimmer müsse, um dringend ein paar Anrufe zu erledigen. Margot musste ihm regelrecht ausweichen, damit er sie nicht umstieß.
»Guten Morgen, Margot«, grüßte Tweed mit einem verbindlichen Lächeln. »Wir sind hier, weil wir uns gern noch einmal mit Ihnen und Sable unterhalten würden.«
»Muss Sable denn dabei sein?«
»Das wäre wünschenswert.«
»Na schön, wenn's nicht anders geht. Sable ist in der Bibliothek. Sie ist zwar nicht gerade bester Laune, aber das ist bei ihr ja normal, wenn Sie mich fragen«, sagte sie und verzog das Gesicht. Dann öffnete sie die Tür zur Bibliothek und ließ Paula und Tweed eintreten.
Sable saß mit ernstem Gesicht an einem Schreibtisch, auf dem ordentlich Papiere und Zeitungen ausgebreitet lagen.
»Sable, wir haben Besuch«, sagte Margot, als ihre Schwester keinerlei Anstalten machte, von ihrer Arbeit aufzublicken.
»Sag ihm, er soll ein andermal wiederkommen«, erwiderte Sable missmutig. »Ich schreibe gerade an einer Arbeit für die Uni und habe überhaupt keine Zeit.«
Dann hob sie doch den Kopf und sah, wer ihre Besucher waren. Auf einen Schlag änderte sich ihre Stimmung, und der finstere Blick wich einem Lächeln. Sie sprang auf, kam auf Tweed zu und begrüßte ihn herzlich. Dann gab sie Paula die Hand.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie, nachdem Tweed und Paula in zwei bequemen Sesseln Platz genommen hatten. »Ich trinke Wodka - das hilft mir bei meinen langweiligen Hausaufgaben. Oder möchten Sie lieber Kaffee oder Tee?« Sie warf Margot, die sie bisher wie Luft behandelt hatte, einen vernichtenden Blick zu. »Was lungerst du eigentlich noch hier herum? Mr Tweed und Miss Grey wollten bestimmt mich sprechen.«
»Nein, ich wollte mich mit Ihnen beiden unterhalten«, sagte Tweed bestimmt. »Und ich hätte gern ein Glas Chardonnay, wenn das möglich wäre.«
»Für mich auch«, sagte Paula.
»Kommt sofort …«
Sie stand auf und ging zu einem Barschrank neben der Tür. Tweed bemerkte, dass sie diesmal sehr viel aufreizender gekleidet war als ihre Schwester. Sie trug einen knappen Minirock, der nichts von ihren langen Beinen verbarg, und als sie sich nach vorn beugte, um ihnen ihre Gläser zu reichen, bemerkte Paula, wie tief man in den Ausschnitt ihrer Bluse gucken konnte.
»Ich hätte auch gern einen Chardonnay«, erklärte Margot.
»Du weißt ja, wo die Flasche steht«, erwiderte Sable kühl.
»Zum Wohl!«, sagte Margot, nachdem sie sich auch ein Glas Wein geholt hatte, und stieß mit den Gästen an. »Und womit können wir Ihnen helfen?«
»Mir ist aufgefallen, dass in Ihrer Familie eine gewisse negative Stimmung herrscht«, fing Tweed an. »Könnten Sie mir vielleicht sagen, woran das liegt? Vielleicht an einer bestimmten Person? Und wenn ja, an wem?«
»In diesem Haus regiert der Hass«, brach es aus Margot hervor. »Hier
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