Die Schlucht
extrem eng anlie genden Kleid, mit der er eine Nacht in einem Hotel verbracht hat. Vermutlich braucht er das ab und zu.«
»Und was hat uns das jetzt gebracht?«, fragte Paula, als sie wieder im Auto saßen.
»Ich fand es hochinteressant, was Margot und Sable gesagt haben. Vor allem die Unterschiede in ihrer Wahrnehmung.«
»Wollen Sie mir nicht sagen, welche Schlussfolgerungen Sie daraus ziehen?«
»Ich werde es Ihnen sagen, sobald ich weiß, dass ich mit meinen Vermutungen Recht habe. Ach, übrigens, wie lange brauchen Sie zum Packen?«
»Eine Minute. Ich bin immer auf eine überraschende Abreise eingestellt.«
»Gut. Rufen Sie Marler auf seinem Handy an. Er soll dem Krabbenfischer Feuer unter dem Hintern machen, damit sein Boot noch heute startbereit ist. Ich möchte so schnell wie möglich nach Noak Island fahren. Vielleicht schaffen wir es ja, vor Neville Guile dort zu sein.«
»Aber ich habe doch mein Handy in dem Stollen verloren …«
»Nein, haben Sie nicht. Butler hat es gefunden, als er dort den toten Ned Marsh entsorgt hat, und es mir heute früh gegeben. Hier ist es.«
Während Tweed den Audi die kurvige Straße entlangsteuerte, rief Paula bei Marler an, der versprach, sofort zurückzurufen, sobald er bei dem Krabbenfischer etwas erreicht hatte.
Der Rückruf kam, noch bevor sie das Hotel erreicht hatten. »Sie haben Glück«, sagte Marler. »Das Boot ist heute Abend um acht in Seaward Cove, das ist eine kleine Bucht zwischen Somerset und Devon. Allerdings wird dieser Ausflug nicht billig. Ich musste dem Mann das doppelte Honorar bezahlen …«
»Das trifft sich ja wunderbar«, sagte Tweed, als Paula ihm berichtete, was Marler gesagt hatte. »Hoffen wir bloß, dass ich auf dem Boot nicht wieder seekrank werde.«
18
Nachdem sie im Hotel ihre Koffer gepackt hatten, trafen sie sich unten auf dem Parkplatz.
»Hätten Sie vielleicht Lust, in meinem Maserati mit nach Seaward Cove zu fahren?«, fragte Marler Paula, die begeistert Ja sagte. Sie war noch nie mit einem so schnellen Sportwagen gefahren. »Tweed und Harry folgen uns in dem gepanzerten Audi, in dem Harry schon seine Spezialwaffen verstaut hat.«
Als sie gerade in die Autos steigen wollten, kam Lance Mandeville aus dem Hotel. Er trug einen langen weißen Pullover und karierte Hosen.
»Na, wo geht's denn hin?«, fragte er.
»Nach London«, antwortete Tweed hastig. »Aber erst morgen. Wir haben bloß schon mal etwas Gepäck zum Auto gebracht.«
»Aber Sie werden uns doch hoffentlich nicht für immer verlassen.«
»Spätestens in drei Tagen sind wir wieder da«, sagte Tweed.
»Großartig. Dann wünsche ich Ihnen eine gute Reise.«
Lance setzte sich auf eine nagelneue Harley-Davidson und fuhr mit laut bullerndem Motor ein paar Häuser weit die High Street hinauf. Er bremste mit quietschendem Hinterreifen und stellte die Maschine vor einem stattlichen Haus mit großen Fenstern ab. Er klopfte an die Tür und wartete ungeduldig, bis eine große blonde Frau mit guter Figur ihm öffnete. Sie gab ihm einen Kuss, während er ihr das Hinterteil tätschelte. Dann trat sie zurück ins Haus und schloss die Tür hinter ihm.
»Wahrscheinlich wieder so ein adliges Opferlamm«, kommentierte Paula. »Ich wette, er denkt schon dran, ihr den gepackten Koffer vor die Tür zu stellen.«
»Gut möglich, aber jetzt sollten wir uns schleunigst auf den Weg machen«, erklärte Tweed.
Fünf Minuten später saß Paula neben Marler in dessen offenem Maserati und genoss die frische Luft, die ihr um die Nase wehte. Im Nu hatten sie Hobartshire hinter sich gelassen und fuhren in raschem Tempo nach Süden.
Als sie dann auf die Autobahn auffuhren, drückte Marler aufs Gaspedal, und Paula spürte, wie sie von der gewaltigen Beschleunigung des Sportwagens in ihren Sitz gedrückt wurde.
Die Fahrt mit Marler war ein Erlebnis, das sie nie vergessen würde. Die Landschaft flog so rasch an ihr vorbei, dass sie sie nur verschwommen wahrnahm - sanfte grüne Hügel, dichte Wälder, ein großer Steinbruch, in dem seltsame Maschinen zu Gange waren. Marler, der eine Lederhaube trug, hatte Paula ebenfalls eine gegeben, damit ihr der Fahrtwind nicht die Haare zerzauste.
Als sie schon eine Weile unterwegs waren, deutete Marler auf eine Plastikdose auf dem schmalen Notsitz hinter ihnen. »Da ist was zu essen drin«, rief er durch das Tosen des Fahrtwinds.
Paula drehte sich um, nahm ein dickes Lachssandwich aus der Dose und ließ Marler beim Fahren immer wieder davon abbeißen.
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