Die Schmetterlingsinsel
dankbar. Wie, wenn nicht durch Anschauung, sollte meine Schwester etwas über die Botanik lernen? Mr Norris ist ja leider noch nicht hier, um sie zu unterweisen.«
Die Erwähnung des Hauslehrers ließ Miss Giles’ Wangen aufblühen. Zufrieden stellte Grace fest, dass es ihr gelungen war, die Gouvernante aus dem Konzept zu bringen. Als sie sich lächelnd Vikrama zuwandte, leuchtete etwas in seinen Augen, das ihr Herz schneller schlagen ließ.
»Komm, Victoria, lass uns den Papagei schnell zeichnen«, sagte sie und legte ihrer Schwester die Hand auf die Schulter. Bevor sie sich umwandte, schenkte sie Vikrama noch ein Lächeln und beobachtete, dass es eine Spur auf seinem Gesicht hinterließ.
Hills Club Hotel, Mai 2008
Der Regen machte Diana einen dicken Strich durch die Rechnung. Auch an den folgenden beiden Tagen schüttete es wie aus Kannen. Jetzt zur Plantage hochzufahren, war unmöglich. Nicht, weil es niemanden gegeben hätte, der sie fahren wollte, sondern weil ihr der riskante Fahrstil der hiesigen Fahrer dann noch gefährlicher vorgekommen wäre.
»Kann es sein, dass der Monsun ein wenig früher einsetzt?«, fragte sie Jonathan beim Frühstück. »Sie sagten doch im Zug etwas von bald.«
»Möglich wäre es. Aber ich glaube nicht, dass dies schon der Monsunregen ist. Vielleicht bekommen wir in den nächsten Tagen die Gelegenheit, zur Plantage zu wandern.«
Diana nickte ein wenig enttäuscht. Sie hatte so sehr gehofft, bald Klarheit zu erlangen, doch alles, was sie besaß, waren Fragmente, und das Palmblatt war noch immer nicht entschlüsselt. Wilde Vermutungen, die aufkamen, während sie aus dem Fenster auf die grüne Landschaft und die tiefhängenden Wolken blickte, drängte sie wieder zurück. Nein, sie würde ihre Vorfahren nicht vorverurteilen. Sie würde die Fakten sprechen lassen, und erst wenn sie nichts mehr fand, ihrer Fantasie erlauben, die Lücken aufzufüllen.
Kurz bevor sie Jonathan aufsuchen wollte, um mit ihm zu Abend zu essen, schaltete sie noch einmal ihren Laptop an, um ein paar Mails durchzusehen. Das Internet des Hotels war ziemlich lahm, es dauerte ewig, bis alles abgerufen war.
Sei zufrieden, dass es hier wenigstens so etwas gibt, schalt sie sich.
Als sie die Liste vor sich hatte, seufzte sie.
Dass Eva sie auf dem Laufenden hielt, gehörte noch zu den angenehmen Nachrichten. Doch auch Philipp hatte ihr dreimal geschrieben, jedes Mal ohne Betreff, als hoffte er, sie dadurch eher dazu zu bekommen, seine E-Mails zu lesen.
Diana unterdrückte den Impuls, die Nachrichten zu löschen. Ich werde sie mir später ansehen, vielleicht kündigt er mir ja die Scheidung an.
Die E-Mail von Mr Green versprach, wesentlich angenehmer zu werden. Er berichtete kurz über die Geschehnisse in Tremayne House und darüber, dass er einen Handwerker holen musste, weil ein Teil der Regenrinne am Haupthaus heruntergekommen war. Dann folgte noch die Bitte, den Anhang zu öffnen und ihn sich genau anzusehen. Es handelte sich um ein Bild, das nur mit der Bezeichnung »IMG7635489« betitelt war. Hatte Mr Green die neue Regenrinne etwa fotografiert?
Aufgrund der Dateigröße stöhnte Diana auf. Wie sollte sie fünf Megabytes durch diese schlechte Leitung bekommen? Vielleicht sollte ich die Nachricht speichern, bis wir wieder in Colombo sind, dachte sie. Warum den Aufwand für das Bild einer Regenrinne auf sich nehmen?
Doch ihre Neugier war zu groß. Die Datei kann laden, während ich mit Jonathan esse. Bis wir fertig sind, sollte das Bild da sein.
Sie klickte also den entsprechenden Button, dann erhob sie sich und ging nach unten.
Während des Abendessens unterhielten sie sich über die Kolonialherrschaft auf Sri Lanka und über die Tamilen.
»Wenn uns noch etwas Zeit bleibt, sollten wir unbedingt einen der Hochlandtempel aufsuchen«, schlug Jonathan vor. »Die Hindus gestalten ihre Tempel immer sehr prächtig, auch wenn sie selbst nicht besonders viel zum Leben haben. Ihre Götter sind ihnen sehr wichtig.«
Einen dieser Tempel hatte Diana in einem Buch über die Gegend gesehen. Direkt vor ihm zu stehen, die bunte Bemalung berühren zu dürfen und den Duft der geopferten Blüten einzuatmen, gefiel ihr.
»Das wäre sehr schön. Kennen Sie denn Tempel in der Gegend?«
»Es gibt einen ganz in der Nähe von Vannattupp u cci . Und noch zwei weitere im Umland. Sobald der Regen aufgehört hat, sollte man sie gut erreichen können. Aber«, er griff nach seinem Teeglas, das inzwischen abgekühlt war, »die
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