Die Schmetterlingsinsel
seinem Gesprächspartner verabschiedet hatte.
»Schlechter. Sie müssen sie künstlich beatmen.« Mehr brachte Diana nicht heraus. Mr Green nickte verständnisvoll.
»Das tut mir leid. Hier habe ich etwas für Sie.«
Diana blickte ihn überrascht an und schluckte. »Sie haben mir etwas gekauft?«
»Nein, ich habe nur etwas abgeholt, das Ihre Tante gekauft hat. Für das jährliche Päckchen.«
Jetzt war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Heiß strömten Diana die Tränen übers Gesicht. Obwohl es ihr in den letzten Wochen schon nicht gutgegangen war, hatte Emmely an so etwas Belangloses wie das Päckchen gedacht, das sie ihr einmal im Jahr schickte, ohne dass es einen Anlass gab. Das Care-Päckchen hatte Diana es immer scherzhaft genannt, denn schon ihre Mutter hatte stets eines bekommen, nachdem sie sich in Deutschland niedergelassen hatte.
»Na, na, Miss Diana, seien Sie tapfer. Ihre Tante ist eine Kämpferin, sie wird sich nicht so schnell verabschieden.«
Mr Green zog ein sauberes Taschentuch aus seinem Mantel und schien erst dann zu bemerken, dass er sie wieder mit ihrer kindlichen Anrede angesprochen hatte. Auf einen Schlag wurde er knallrot.
»Danke, Mr Green«, entgegnete Diana, nachdem sie sich geschnäuzt hatte. »Und bleiben Sie bei Miss Diana, ja? Ich glaube nämlich, ich werde nicht mehr lange eine Mrs Wagenbach sein.«
Verwirrt blickte der Butler sie an, führte sie dann aber zum Wagen.
»Mein Mann und ich werden uns wahrscheinlich scheiden lassen«, eröffnete sie Mr Green, als sie ein Stück aus London heraus waren.
Zunächst war der Butler sprachlos über diese Offenbarung, die ihn als Angestellten nichts anging. Dann räusperte er sich und entgegnete: »Das sollten Sie sich gut überlegen. Heutzutage werfen die Menschen Beziehungen so leicht weg.«
In früheren Zeiten, vielleicht von Emmely oder Deidre, wäre er für solch einen Ausspruch gerügt worden. Doch Diana fand, dass er recht hatte. Die Menschen warfen gute, langjährige Beziehungen einfach weg – für eine kurzlebige Affäre zum Beispiel.
»Er hat mich betrogen«, setzte sie hinzu, was in früheren Zeiten wohl ebenfalls ein Unding gewesen wäre.
»Oh, dann ist es natürlich etwas anderes.« Hörte Diana eine kleine Spur Zorn in seinen Worten? »Ich verstehe manche Männer nicht. Warum stürzen sie sich in Affären und glauben, die Frauen heutzutage würden es nicht mitbekommen? Nicht mal in früheren Zeiten war das der Fall. Frauen haben dafür einen Sinn.«
»Und sie sind mittlerweile nicht mehr bereit, ihren Kummer darüber zu verbergen«, setzte Diana hinzu.
»So ist es! Dennoch nehmen Männer an, dass sie damit durchkommen. Und sie nehmen all den Schimpf und den Ärger auf sich, nur um für ein paar Momente fremde Haut zu spüren.«
So weise, wie er sprach, müsste er eigentlich die glücklichste Beziehung aller Zeiten führen. Diana wusste aber nur zu gut, dass dem nicht so war. Überkam ihn so etwas wie eine späte Einsicht?
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Mr Green?«
Diana bemerkte, wie seine Augenbrauen nach oben schnellten. Offenbar ahnte er bereits, was jetzt kam.
»Nur zu! Bis auf meinen Vornamen habe ich keine Geheimnisse.«
»Waren Sie jemals verheiratet?«
Green zögerte kurz. »Nein.«
»Und kurz davor gewesen?«
»Kurz davor schon öfter. Es gab immer wieder Frauen, bei denen ich dachte, es könnte etwas werden.«
»Was hat Sie abgehalten?«
»Nun, was hält einen ab, den letzten Schritt zu tun? Manchmal liebte man sich zu wenig, manchmal zu sehr. Manchmal sprangen Umstände dazwischen, manchmal eigene Dummheit.«
Und der Dienst?, fragte sich Diana. Ob es insgeheim immer noch so ist, dass ein Butler der Familie, der er dient, gehört und bei seiner Heirat aus dem Haushalt ausscheidet?
»Aber ich bin sicher, dass ich eines Tages eine Frau finde, bei der es sich zu bleiben lohnt. Momentan haben wir aber andere Sorgen, nicht wahr?«
Diana nickte. Ihre Neugierde hatte Mr Green nicht befriedigt, doch sie spürte, dass er ohnehin nicht mehr preisgeben würde.
In Tremayne House angekommen zog sich Diana mit dem noch unausgepackten Päckchen sogleich ins Wohnzimmer zurück, das sie noch am vergangenen Abend zu einer Art Hauptquartier umfunktioniert hatte. Schon immer hatte sie das riesige koloniale Ledersofa geliebt, dem man dank gründlicher Pflege nicht ansah, dass es um die Jahrhundertwende angeschafft worden war. Ihr Laptop stand, mit einem Kabel an die Telefonbuchse
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