Die Schmetterlingsinsel
sie gekümmert.
»Sie ist tot«, platzte es dennoch aus ihr heraus.
Philipp blickte geschockt drein, dann machte er Anstalten, sie zu umarmen. Grob stieß Diana seine Arme weg. »Fass mich nicht an! Dass du mich bemitleiden willst, ändert nichts an dem, was vorgefallen ist!«
Philipp schnaufte, schüttelte dann den Kopf. »Und wie soll es nun mit uns weitergehen?«
»Mit uns?« Diana lachte schmerzvoll auf. »Wir sollten uns eine Weile aus dem Weg gehen, ich werde im Gästezimmer schlafen.«
Damit nahm sie ihre Tasche wieder auf und stapfte nach oben.
Keuchend vor unterdrücktem Zorn ließ sich Diana hinter ihrem Schreibtisch nieder. Mein Gefühl war richtig, dachte sie, während sie ihren Laptop auspackte. Ich hätte noch eine Weile in Tremayne House bleiben sollen.
Doch sie musste sich um ihre Kanzlei kümmern. Viel zu lange hatte sie ihre Klienten warten lassen. Natürlich würden sie Verständnis zeigen, wenn sie ihnen vom Tod ihrer Verwandten erzählte, aber für immer konnte sie der Arbeit nicht fernbleiben.
Außerdem musste sie ihren Bekannten wegen des seltsamen Palmblatts kontaktieren. Wenn einer wusste, was das zu bedeuten hatte, dann er.
»Nächster Halt, Dahlem-Dorf«, schmetterte die verzerrte Stimme durch das U-Bahn-Geräusch. Diana verstaute den Reiseführer vorsichtig in ihrer Tasche und prüfte noch einmal, ob der Umschlag mit dem seltsamen Blatt nicht gelitten hatte. Dann erhob sie sich.
Wie immer fand Diana die Gleichgültigkeit, die die meisten ihren Mitmenschen entgegenbrachten, bemerkenswert. Ob man nun in einem seltsamen Buch blätterte, grüne Haare hatte oder im Gammellook herumlief, in Berlin störte das niemanden. Schon gar nicht in der U-Bahn, wo die Leute bemüht woanders hinschauten, um ja nicht selbst angesehen zu werden.
Nur wenige Augenblicke später glitt die gelbe Bahn aus dem Tunnel und schob sich vor eine Reihe Wartender, meist Studenten, aber auch ein paar ältere Leute. Eine Welle der Ungeduld schlug ihr beim Aussteigen entgegen. Glücklicherweise folgte ihr an dieser Tür niemand nach, so dass die jungen Leute gleich in den Zug stürmen konnten. Als das Türschließsignal ertönte, war sie bereits beim Aufzug, der gerade eine neue Fuhre Passagiere brachte. Zusammen mit einem älteren Herrn mit Aktenkoffer, offenbar ein Professor auf dem Weg zu seiner Vorlesung, fuhr sie nach oben.
Versonnen lächelte Diana vor sich hin. Viel hatte sich nicht verändert, seit sie selbst an der Freien Universität studiert hatte. Die Klamotten waren vielleicht ein bisschen anders, die Lehrpläne überholt und moderner, aber noch immer wimmelte Dahlem von Wissensdurstigen und jenen, die sich vor Jahren entschieden hatten, die Universität nicht mehr zu verlassen.
Im Gegensatz zu früher kehrte sie dem Universitätsgebäude den Rücken und strebte dem grauen Gebilde aus Glas und Beton zu, in dem das Museum für Ostasiatische Kunst untergebracht war.
Ihren Bekannten aus Unizeiten hatte sie glücklicherweise am Vormittag erreicht und prompt einen Termin bei ihm bekommen. Eine absolute Seltenheit, wie er betonte, ansonsten sei er immer ausgebucht.
Die unverhältnismäßig lauten Stimmen, die ihr beim Eintreten entgegentönten, gehörten zu einer Studentengruppe, die sich gerade zu einer Führung aufstellte und missbilligende Blicke von der Dame hinter dem Empfangstresen erntete.
Diana baute sich vor ihr auf. »Guten Tag, ich habe einen Termin mit Dr. Fellner. Mein Name ist Diana Wagenbach.«
Mit einem Blick, als hätte Diana ihr eine faustdicke Lüge aufgetischt, griff die Assistentin nach dem Telefonhörer und meldete Dianas Ankunft an. Der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung bestätigte den Termin, worauf die Züge der Frau ein wenig weicher wurden.
»Einen Moment bitte, er kommt gleich.«
Diana bedankte sich und nahm auf einer Sitzbank Platz. Lange konnte sie die gelangweilt wirkenden Studenten nicht beobachten, denn schon fünf Minuten später kam ihr Bekannter auf sie zu. Michael Fellner war noch immer schlank und hochgewachsen, hatte seine Schlaksigkeit aus Unizeiten allerdings abgelegt. Er trug ein graues Jackett zur blauen Jeans, der Kragen des hellblauen Hemdes war offen. Dass er, der ehemalige Punk, jemals so herumlaufen würde, hätte damals niemand geglaubt, am allerwenigsten Diana selbst.
Lächelnd reichte er ihr die Hand. »Diana, schön, dich zu sehen! Seit Jahren arbeiten wir in derselben Stadt, aber nie laufen wir uns über den Weg.«
»Ist jetzt
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