Die Schmetterlingsinsel
vielleicht nie?«, gab Diana zurück und umarmte ihn, wie sie es früher immer getan hatten, wenn sie sich mit ihren Cliquen über den Weg gelaufen waren.
»Gut siehst du aus! Du hast dich kaum verändert.«
»Ich bin doch diejenige, die was von dir will, eigentlich müsste ich dir also Honig um den Bart schmieren«, lachte Diana.
Michael griff sich an das glattrasierte Kinn. »Nur dass es keinen Bart zum Schmieren gibt. Außerdem braucht mich niemand auf meinen Bauchansatz und das erste Grau an meinen Schläfen aufmerksam machen, das sehe ich jeden Morgen selbst im Spiegel.«
Diana schüttelte missbilligend den Kopf. Weder hatte er einen Bauchansatz, noch wurde er grau. Etwas dünner war seine Haarpracht zwar geworden, aber in seinem Gesicht erkannte sie immer noch den Jungen, der früher mit einer viel zu großen Brille und blondgefärbtem Irokesenschnitt herumgelaufen war und sie über ostasiatische Kunstgeschichte belehren wollte. Die Sache mit der Brille hatte er hinbekommen, seine Haare waren alle einheitlich lang, und jetzt wäre sie ihm für sein Wissen sogar dankbar.
»Gehen wir doch in mein Büro, da kannst du mir deinen Schatz zeigen.«
Nachdem sie eine Treppe erklommen und einige Gänge durchquert hatten, standen sie vor Michaels Allerheiligstem. Das Büro wies akademische Unordnung auf und hatte einen guten Blick auf die Grünanlage der Universität, aus der die Gebäude wie liegen gelassene Bausteine ragten.
»Diana Bornemann«, sagte er, als er sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen ließ.
Wie lange war es her, dass sie ihren Mädchennamen gehört hatte? Auf einmal schien sich die Zeit ein Stück zurückzudrehen. Sie war noch unverheiratet, stand kurz vor ihrem Examen und war voller Ideen und hochtrabender Pläne. Vor ihr saß der angehende Ostasienwissenschaftler, der noch ein wenig holprig Japanisch und Chinesisch sprach und der sich in seiner Freizeit selbst Indisch beibrachte.
»Du hast geheiratet«, stellte er mit Blick auf ihren Ringfinger fest. »Ich habe mich zunächst gefragt, wer diese Diana Wagenbach sein könnte, doch dann habe ich deine Stimme erkannt. Weißt du eigentlich, dass fast jeder aus unserer Truppe heimlich davon geträumt hat, dich ins Bett zu kriegen?«
Diana tat schockiert. Natürlich hatte sie die Avancen der Jungs mitbekommen – und ihre albernen Balgereien, wenn sie ihr zeigen wollten, wer der Stärkere war. Michael hatte sich immer zurückgehalten, aber seine Blicke waren ebenfalls eindeutig gewesen.
»Und ich dachte, ihr wärt nur an Diskussionen über Missstände in der Gesellschaft interessiert. Aber ich glaube nicht, dass wir unsere Zeit damit vergeuden sollten, um über ausgebliebene Männergeschichten zu diskutieren.«
»Du hast recht«, gab Michael zu, während er sich zurücklehnte und sie genau musterte. »Was führt dich also zu mir? Du hast so geheimnisvoll geklungen.«
Diana griff in ihre Tasche, holte den B4-Umschlag hervor und legte das seltsame Blatt auf den Tisch.
Michael schnappte unwillkürlich nach Luft. »Das gibt’s doch nicht!«
Diana knetete ihre eiskalten Hände. So musste sich jemand fühlen, der den Krempel vom Dachboden einem Kunstexperten vorführte und dieser einen waschechten, noch unbekannten da Vinci erkennt.
»Was gibt es nicht?«, fragte sie neugierig, während Michael das Blatt fast schon andächtig zu sich zog, die Brille ein Stück die Nase hinunterschob und dann wie viele Kurzsichtige über den Rand stierte, weil er so besser sehen konnte.
Eine ganze Weile antwortete Michael, ganz in den Forschermodus versunken, nicht. Dann atmete er tief durch, als bräuchte er für das, was er ihr jetzt offenbaren wollte, sehr viel Luft.
»Sag mal, hast du je etwas von den Palmblattbibliotheken in Indien oder Sri Lanka gehört?«
Diana schüttelte den Kopf. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich in deinen Augen ungebildet wirke, davon höre ich zum ersten Mal.«
Das Zittern, das durch den Körper ihres Freundes ging, deutete darauf hin, dass sie wirklich etwas Großartiges aufgetan hatte. Nur was hatte das mit ihrer Familiengeschichte zu tun?
»In Indien und auf Sri Lanka schreibt man seit vielen Jahrhunderten, nein Jahrtausenden auf getrocknete Palmblätter und bindet diese zu Büchern zusammen, die teilweise sehr kunstvoll verziert werden.«
Er tippte etwas in seinen Computer und drehte den Bildschirm herum, so dass Diana sehen konnte.
Die Palmblattbücher, von denen Michael sprach, wirkten auf den ersten Blick wie große
Weitere Kostenlose Bücher