Die Schmetterlingsinsel
dann kurz in ihrer Handtasche. Während sie versuchte, die richtige Reihenfolge einzuhalten, breitete sie die Bilder auf dem Tisch aus. Michaels Aufnahmen waren so gestochen scharf, dass man auch kleinste Fasern erkennen konnte. Die Schrift auf dem Palmblatt wirkte deutlich wie ein Muster, das mit einem Lötkolben in Holz gebrannt worden war.
Bevor Jonathan die Bilder in Augenschein nehmen konnte, erschien der flinke Kellner schon wieder. Wenn er sich über die Aufnahmen auf dem Tisch wunderte, ließ er es sich nicht anmerken.
Jonathan sagte etwas auf Tamil, worauf der junge Mann wieder verschwand.
»Was haben Sie uns bestellt?«, erkundigte sich Diana neugierig.
»Das werden Sie sehen«, antwortete Jonathan mit einem rätselhaften Lächeln.
»Und Sie wollen mir keinen Hinweis geben?«
»Es ist etwas, das Sie mögen werden, vertrauen Sie mir. Die tamilische Küche ist sehr köstlich – vor allem, wenn Sie etwas Schärfe vertragen.«
»Wenn ein großer Wassereimer zum Löschen bereitsteht, immer.«
»Wasser richtet gegen Schärfe nur im Moment etwas aus. Aber auch dafür habe ich Sorge getragen.«
Lächelnd nahm Jonathan nun eines der Fotos und betrachtete es eingehend. Während sie ihn dabei beobachtete, kaute Diana gespannt auf ihrer Unterlippe herum. Würde er es lesen können? Das plötzliche Stirnrunzeln hielt sie für kein gutes Zeichen.
»Das ist Alt-Tamil«, stellte er schließlich fest. »So was habe ich mir beinahe gedacht.«
»Sie können es also nicht lesen?«
»Die tamilische Schrift hat sich im Laufe der Jahrhunderte sehr verändert. Ola wie diese sind bestimmt mehr als tausend Jahre alt.« Jonathan legte die Fotos wieder beiseite. »Ich fürchte, Sie werden einen Nadi-Reader finden müssen, jemanden, der diese Sprache noch spricht.«
»Und den finde ich nur in den Bibliotheken.«
»Oder in einem der Dörfer am Rand von Colombo. Sie wollen dieses Blatt der entsprechenden Bibliothek wiedergeben?«
Diana nickte. »Ja, das ist noch immer mein Vorhaben.«
»Ich würde Ihnen raten, es zunächst von einer unabhängigen Quelle auslesen zu lassen. Vielleicht findet sich dann ein Hinweis darauf, aus welcher Bibliothek es stammt.«
»Erkennt man das denn aus dem Text?«
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Wer weiß. Einen Versuch wäre es wert, finden Sie nicht?«
Diana nickte, worauf Jonathan sie eine Weile ansah.
»Welche Geschichte steckt hinter Ihrer Reise, welche Motivation haben Sie?«, fragte er schließlich.
Diana holte das Foto mit dem Berg und der weißgekleideten Frau hervor – das Foto, das Jonathan davor bewahrt hatte, verloren zu gehen. Sein Lächeln zeigte ihr an, dass er es wiedererkannte.
»Ich nehme an, dass dies meine Ururgroßmutter ist. Genau kann ich es leider nicht sagen, dadurch, dass meine Großmutter im Krieg fliehen musste, sind sämtliche Unterlagen, auch die Bilder, verloren gegangen. Auf einer alten Teepackung stand unter dem Namen des Erzeugers das Wort Vannattupp u cci . Ich bin mir nicht sicher, ob das der Name der Plantage war oder der Ort, an dem sie stand.«
»Schmetterling«, brachte Jonathan lächelnd hervor.
»Wie bitte?«
»Schmetterling. Vannattupp u cci heißt aus dem Tamil übersetzt Schmetterling. Ihre Vorfahren müssen eine poetische Ader gehabt haben.«
Dazu konnte Diana nichts sagen, doch auf einmal fiel ihr wieder der Traum ein. Der Schmetterling, der den Engel zum Leben erweckt hatte. War das bereits eine Vorahnung gewesen?
Nein, unmöglich …
»Ich würde darauf tippen, dass es sich um den Namen der Plantage handelte. Die Engländer hatten die Angewohnheit, ihre estates zu benennen.«
»Kaum vorstellbar, dass einer meiner Vorfahren so viel Fein gefühl besessen hätte, die Plantage so zu nennen. Der typische Engländer der damaligen Zeit hat doch seine Gefühle eher versteckt als gezeigt.«
»Sicher hatten Ihre Vorfahren einen Grund dafür.«
Jonathan betrachtete noch einmal das Bild, dann seufzte er. »Da haben Sie ja noch einen Haufen Arbeit vor sich.«
»Ich habe meine Tante Emmely sehr gern gehabt, sie war so etwas wie eine Großmutter für mich. Ihre Bitte zu erfüllen ist Ehrensache für mich, zumal …«
Nein, das geht zu weit, dachte Diana. Ich kann ihm nicht die Geschichte meiner verkorksten Ehe auftischen. Er ist ein hilfsbereiter Fremder, nichts weiter.
Als sie verstummte, sah Jonathan sie fragend an. Diana suchte verzweifelt nach Worten, mit denen sie anknüpfen konnte.
»Auf jeden Fall möchte ich
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