Die Schmetterlingsinsel
Diana verblüfft fest, verriet ihm aber nicht, dass ihr dabei der Schmetterling einfiel, der in ihrem Traum den Engel zum Leben erweckt hatte.
»Sri Lanka steckt voller Überraschungen«, behauptete Singh und orderte dann in makellosem Tamil bei dem herbeigeeilten Wirt zwei Gläser Tee.
»Er hat den besten in der ganzen Gegend«, erklärte Singh, als der Wirt davoneilte. »Ich habe mir erlaubt, auch gleich noch etwas Gebäck dazu zu bestellen. Für Lunch ist es noch ein bisschen früh, finden Sie nicht?«
Diana schwirrte der Kopf. Machte sich der Jetlag bemerkbar? Oder brauchte sie einfach nur eine Weile, um alles zu ordnen?
»Vielleicht sollte ich Ihnen zur Abwechslung etwas über mich erzählen, bevor ich Ihnen wieder Löcher in den Bauch frage.«
Diana nickte ihm zu. »Ja, das wäre nett, dann kann ich mich schon mal wappnen.«
Nachdem der Wirt die dampfenden Teegläser und eine Schale mit pastetenartigen Gebäckteilchen vor ihnen abgestellt hatte, begann Singh seinen Bericht.
»Aufgewachsen bin ich in England, mein Vater gehörte zu den tamilischstämmigen Indern, wodurch ich beide seiner Muttersprachen beherrsche. Er kam als Professor für indische Geschichte nach England, irgendwie hat dieses Interesse auf mich abgefärbt, nur dass ich mir mein Wirkungsfeld hier gesucht habe. Man kann allerdings sagen, dass ich mich nur wegen ihm für ein im neunzehnten Jahrhundert nach England verschlepptes Palmblatt interessiere.«
Er hielt kurz inne und kaute auf seiner Unterlippe herum, als wüsste er nicht, wie er etwas Bestimmtes sagen sollte. »Sie haben Ihr Blatt nicht zufällig hier?«, fragte er schließlich.
Diana schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht, aber …« Sie stockte. Konnte sie ihn einfach zu sich ins Hotel einladen? Welchen Eindruck machte das denn?
Im nächsten Augenblick schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Er will dir bei deinem Palmblatt helfen und dich nicht heiraten! Sei froh, dass Michael den Kontakt hergestellt hat.
»Es ist in meinem Hotel. Dort habe ich auch Fotos davon, es ist einfach zu kostbar, um es ständig mit mir herumzutragen.«
»Das verstehe ich.« Singh schwenkte den Tee in seinem Glas kurz umher, dann sagte er: »Ich würde wahnsinnig gern einen Blick darauf werfen. Leider muss ich morgen bei meinem Verleger antreten. Er möchte mein neues Projekt mit mir besprechen.«
Diana zog die Augenbrauen hoch. »Ach ja? Worum geht es, wenn ich fragen darf?«
»Es geht um den Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen, seine Ursachen, seine Auswirkungen, seine Geschichte. Die Spannung zwischen unseren beiden Völkern schwelt nun schon seit mehreren Jahrzehnten, wobei die Tamil Tigers immer kompromissloser in ihren Aktionen werden. Ich möchte mit meiner Schrift ein wenig Aufklärungsarbeit leisten.«
Diana fielen wieder die mahnenden Worte der Reisebüromitarbeiterin ein, als sie ihr die Infobroschüre aushändigte. »Das klingt nach einem sehr schwierigen, nein gefährlichen Thema.«
»Das ist es auch. Aber einer muss sich seiner annehmen. Schweigen bringt uns nicht weiter, nur wenn wir einen Konsens finden, wird es eines Tages Frieden auf der gesamten Insel geben.«
Diana schwieg beeindruckt.
»Aber das heißt nicht, dass ich keine Zeit für Sie habe. Wir können uns gern am Abend treffen, da ist es in der Stadt am schönsten. Was halten Sie davon?«
»Meinetwegen gern«, antwortete Diana mit einem seltsam aufgeregten Kribbeln in der Magengrube.
»In welchem Hotel sind Sie abgestiegen?«
»Im Grand Oriental.«
Singh schob bewundernd die Unterlippe vor. »Sie scheinen es wirklich ernst zu meinen mit Ihren Nachforschungen. Das Grand Oriental Hotel war in Kolonialzeiten neben dem Mount Lavinia Hotel eine der ersten Adressen der Engländer auf Sri Lanka. Es ist genau das Richtige, um eine Reise in die Vergangenheit zu beginnen.«
»Ich habe dieses Haus in meinem Reiseführer gefunden, es war angestrichen. Ich weiß es nicht genau, aber der Gedanke, dass meine Vorfahren dort logiert haben, gefällt mir irgendwie.«
»Ich werde um 8 Uhr abends da sein«, versprach Singh. »Allerdings werde ich mir dann erlauben, Sie in die Stadt zu entführen. Egal, wo man hinkommt, die Hotelküche ist immer der Meinung, dass man als Ausländer so essen will, wie man es aus der Heimat gewöhnt ist. Dabei kommt man doch auch in ein fernes Land, um sich dessen kulinarischen Sünden hinzugeben.«
Damit ließ er ein weiteres der Gebäckteilchen in seinem Mund verschwinden.
Zur
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