Die Schmetterlingsinsel
in ihre Schulzeit zurückversetzt gefühlt, in der alle Mädchen von dem großen Jungen geträumt hatten, der bereits Moped fahren konnte und ein Sport-Ass war.
Und auch jetzt, da das warme Wasser der Dusche über ihren Körper rann, ging er ihr nicht aus dem Kopf . Wann hast du schon mal so lange über einen Mann nachgedacht? Dabei fiel ihr auf, dass sie Philipp seit ihrer Ankunft in Colombo regelrecht aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatte. Und sie schalt sich selbst dafür, dass sie nun zuließ, dass er sich wieder in ihren Verstand mogelte.
Als sie unter die leichte Bettdecke schlüpfte, den Blick auf die Lichter des Hafens gerichtet, überkam sie eine tiefgreifende Sehnsucht. Wie lange hatten Philipp und sie nicht mehr miteinander geschlafen? In den letzten Monaten war der Sex eher zur Pflichtübung verkommen, die zwischen geschäftliche Termine und alltägliche Besorgungen geschoben wurde. Bis zu dem Zeitpunkt, da sie Philipps Untreue entdeckte, hatte ihr das nicht viel ausgemacht, danach war sie durch ihre Erkenntnis und Emmelys Erkranken dermaßen abgelenkt gewesen, dass sie ihren eigenen Körper gar nicht mehr richtig wahrgenommen hatte.
Doch hier, fernab von der Heimat, umgeben von exotischen Düften und einer Luft, die sie glauben machte, sie könnte sich jederzeit in ihr auflösen, um vom Wind über die Palmenhaine getragen zu werden, kehrte dieses Bewusstsein zu ihr zurück. Sie spürte das Blut in ihren Gliedmaßen pulsieren, das Herz, das gleichmäßig gegen ihre Brust pochte, ein aufgeregtes Kribbeln in ihrer Magengrube, wenn sie an den Mann dachte, der eigentlich nicht mehr war als eine Zufallsbekanntschaft. Allein dieser Abend, der eigentlich ganz unverbindlich abgelaufen war, hatte ihr mehr gegeben als das Zusammenleben mit Philipp in den letzten Monaten. Und insgeheim freute sie sich darauf, Jonathan Singh wiederzusehen, wenngleich sie sich sagte, dass er einfach nur hilfsbereit und freundlich war und sie ihn wahrscheinlich niemals wiedersehen würde, sobald sie ihre Aufgabe auf dieser Insel beendet hatte.
Als sie über diesen Gedanken einschlief, dämmerte über dem Galle Face bereits der Morgen herauf. Trotzdem erwachte sie bereits gegen zehn wieder, als helles Morgenlicht auf ihr Gesicht fiel. Die Luft hatte sich noch mehr erwärmt, das tiefe Brummen eines Tankerhorns echote durch den Hafen, und in den Sonnenstrahlen vor den Fenstern tanzten ein paar Staubpartikel wie winzige Glühwürmchen. Lächelnd erhob sich Diana und verspürte sogleich den Stich der Erwartung in ihrer Magengrube. Ob er schon geschrieben hat?
Nur mit Mühe versagte sie sich, gleich an ihren Laptop zu gehen und die Mails abzurufen. Er wird noch nicht geschrieben haben. Immerhin muss er wieder an seine Arbeit.
Nach einer erfrischenden Dusche und einem guten Frühstück beschloss Diana, ein Stück auf der Strandpromenade spazieren zu gehen.
»Miss Wagenbach?«
Als Diana stehenblieb und sich umwandte, lächelte die Empfangsdame ihr freundlich zu. »Entschuldigen Sie bitte, vorhin ist ein Brief für Sie abgegeben worden. Ich hatte gerade auf Ihrem Zimmer angerufen, aber leider waren Sie nicht da.«
Ein Brief für mich?, dachte Diana erstaunt. Sollte Mr Green mir geschrieben haben? Nein, so schnell ist die Post hierher bestimmt nicht.
Als sie an den Tresen trat, reichte ihr die Empfangsdame einen großen Umschlag, der mit dem Logo des Hotels bedruckt und mit einer Kordel verschlossen war. Er enthielt einen kleineren, cremefarbenen Umschlag, dessen Fassungsvermögen voll ausgereizt wurde. Die rotblauen Balken der Luftpost fehlten allerdings.
Nachdem sie sich bedankt hatte, trug sie den Brief nach oben, wo sie ihn mit pochendem Herzen auf den Schreibtisch legte. Mit einer sachlich, aber dennoch elegant wirkenden Handschrift war ihr Name auf das Papier geschrieben worden – sonst nichts.
Nachdem sie mit den Fingerspitzen über das Papier gestrichen hatte, griff sie nach dem Brieföffner, der zur Zimmerausstattung gehörte.
Beinahe erleichtert gab das Papier nach und den Blick auf ein Papierbündel frei. Kopien, wie Diana am Geruch erkannte. Davor steckte eine schmucklose Karte, beschrieben in einer Handschrift, die sowohl englische als auch tamilische Einflüsse erkennen ließ.
Verehrte Miss Wagenbach,
vielen Dank für den reizenden Abend, der mich dermaßen inspiriert hat, dass ich mich gleich nach dem Nachhausekommen auf die Suche nach einem Nadi-Reader gemacht habe. Nachdem ich einen Bekannten aus
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