Die Schmetterlingsinsel
wird es hier im Gegensatz zur Küste niemals brütend heiß.«
»Sie scheinen schon mal hier gewesen zu sein«, bemerkte Diana schmunzelnd, denn mit seinem Wissen hätte er genauso gut Fremdenführer sein können.
»Ich lebe schon eine Weile hier, und nichts bereitet den Einheimischen so viel Freude, wie Fremden stolz ihr Land zu zeigen.«
»Aber man kann Sie wohl kaum als Fremden bezeichnen mit Ihrer Ahnenreihe.«
»Aber nichtsdestotrotz habe ich nur die englische und indische Staatsbürgerschaft und nicht die von Sri Lanka. Also bin ich genauso ein Fremder wie Sie. Mit einer Aufenthaltsgenehmigung natürlich.« Nach einem kurzen Blick aus dem Fenster bemerkte er schließlich: »Sie haben sich übrigens keine besonders gute Zeit ausgesucht, der Monsun müsste bald losgehen.«
»Ich wollte ja auch eigentlich nicht sehr lange bleiben. Nur lange genug, bis ich etwas über meine Familie herausgefunden habe.«
Ein hintergründiges Lächeln huschte über Jonathans Gesicht, doch er sagte nichts dazu.
Inzwischen fuhr der Zug auf einer kleinen Bahnstation am Fuße des Berges ein. »Hier müssen wir raus«, erklärte Jonathan, dann fischte er ihre Tasche aus dem übervollen Gepäcknetz, das die ganze Zeit unheilschwanger über ihnen geschwebt hatte.
Sich einen Weg durch die anderen Reisenden zu bahnen, erwies sich als schwierig, doch der Lokführer hatte glücklicherweise keine Eile. Geduldig wartete er, bis alle, die nach draußen drängten, den Zug verlassen hatten, dann gab der Schaffner das Signal. Während der Zug mit seiner schweren und teilweise recht laut plappernden Last wieder anrollte, verließen sie die Bahnstation und bogen in einen gewundenen Sandweg ein, von dem ein Wegweiser behauptete, er würde zum Hill Hotel führen.
»Das ist eines der ältesten Häuser hier. Schon zu Kolonialzeiten wurde es als Pension für Reisende geführt. Ich glaube, es ist ein guter Ausgangspunkt für Ihre Suche.«
»Einen Nadi-Reader gibt es hier nicht zufällig, oder?«
»Nein, ganz sicher nicht. Hier finden Sie nur viele englische Spuren. Aber ich versichere Ihnen, dass Vijita aus dem Krankenhaus zurückkehren wird. Sie haben doch gesehen, wie reich der Schrein für ihn geschmückt war. Und unsere Medizin ist mittlerweile auch auf dem neuesten Stand, zumindest in Colombo. Da er dort ist, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, er wird Ihr Blatt entziffern, sobald er kann.«
Vielleicht hätte ich doch lieber zu der Bibliothek in Colombo gehen sollen, dachte sie, doch dann kam ihr wieder Jonathans Einwand in den Sinn. Natürlich würden es die dortigen Reader nicht gern sehen, wenn sie darum bat, ein mitgebrachtes Blatt zu entziffern.
Nach einer Viertelstunde Fußmarsch auf ansteigendem Gelände tauchte das Hotel zwischen den Bäumen auf. Im Sonnenschein wirkte die Fassade wie eine blankpolierte Perle auf grünem Samt.
»Drehen Sie sich mal um!«, rief Jonathan unvermittelt. Als Diana seiner Anweisung nachkam, wurde sie mit einem atemberaubenden Ausblick belohnt. Die grünen Hügel schmiegten sich aneinander wie Liebende, die nie mehr voneinander ablassen wollten.
»Da unten muss irgendwo unsere Bahnstation sein.« An dem Punkt, auf den Singh deutete, konnte Diana nur die Bahnschienen sehen, die sich wie eine Ader zwischen den Hügeln hindurchschlängelten.
»Das hat sogar ein bisschen was von den schottischen Highlands«, bemerkte Diana lächelnd, als sie sich Jonathan wieder zuwandte. Dabei bemerkte sie, dass er sie die ganze Zeit über beobachtet hatte. Als wäre ihm das unangenehm, senkte er kurz den Blick.
»Ja, nur sind unsere Temperaturen auch im Winter etwas besser als dort.«
»Da haben Sie recht!«
Das Betreten des Hotelgeländes war für Diana wie eine Rückkehr nach Tremayne House. Das Gebäude war ähnlich marode, vielleicht noch einen Tick ursprünglicher, denn ein Allround-Genie wie Mr Green, der sich ums Haus und um den Garten kümmerte, schien hier zu fehlen. Der einstmals sicher prächtige Garten, der unterhalb der Sonnenterrasse angelegt war, wirkte verwildert. Dafür machte die Sonnenterrasse selbst den Eindruck, als würde jeden Moment ein Gentleman in Vatermörderkragen und Gehrock um die Ecke kommen, um im Schatten eine gute indonesische Zigarre und einen Gin zu genießen.
Die Urlauber, die sich hier tummelten, stammten vorwiegend aus dem asiatischen Raum. Diana erkannte ein paar Japaner und ein Paar, das wahrscheinlich aus Thailand stammte. Zwei Amerikaner verrieten sich durch ihren
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