Die Schmetterlingsinsel
vorbei, die sie teilweise mit verwunderten Blicken musterten. Dabei war es fraglich, ob Dianas fehlendes Abendkleid sie mehr störte oder die Krawatte, die so gar nicht zum Rest von Jonathans Kleidung passen wollte.
Doch niemand äußerte seinen Unmut, und wenn, hätte Diana ohnehin nicht darauf reagiert, denn ihre Augen hefteten sich an die Wand mit den alten Fotografien. Sie zeigten die Mitglieder des Hills Club zur Blütezeit des Hotels. Ihre Ahnung wurde nur wenig später von Jonathan bestätigt.
»Schauen Sie sich mal die Namen unter diesem Bild an«, sagte er, während er auf eine alte, von Glas geschützte Fotoplatte deutete, deren Zustand dem Bild von Grace ähnelte, nur dass die Personen dicht genug aufgenommen worden waren, so dass man ihre Gesichter erkennen konnte.
Die meisten, in elegante Anzüge gekleideten Männer blickten ein wenig gequält drein, zum Ersten, weil es damals nicht üblich war, in die Kamera zu lächeln, und zum Zweiten, weil die Anfertigung eines Fotos sehr lange dauerte.
Mit klopfendem Herzen überflog Diana die Namen. Emmerson Walbury, Trent Jennings, Dean Stockton, Henry Tremayne …
Sie zählte nach, bis sie am vierten Mann von links angekommen war. Henry Tremayne war blond und hochgewachsen. Offenbar hatte er seiner Tochter Grace die Haarfarbe vererbt.
»Das gibt’s nicht!«, presste sie hervor.
»Anscheinend doch!«, antwortete Jonathan. »Ihr Vorfahr scheint ein Clubmitglied gewesen zu sein. Sie wissen hoffentlich, dass nur die angesehensten Mitglieder der Gesellschaft hier aufgenommen wurden.«
»Ich kann es mir denken. In England war das genauso. Und ist es teilweise auch heute noch.«
Jonathan ließ ihr ein wenig Zeit, um das Bild zu betrachten.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er dann.
Diana musste zugeben, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. »Als würde ich durch ein Fenster der Vergangenheit blicken«, antwortete sie dann. »Ob es wohl möglich ist, eine Kopie davon zu bekommen? Immerhin ist es die einzige erhaltene Darstellung meines Urururgroßvaters. Irgendwie hat er es nicht in die Ahnengalerie von Tremayne House geschafft.«
»Ich glaube schon. Ich werde nachher mal den Türsteher fragen. Für diese Krawatte ist er mir einen Gefallen schuldig.«
»Sie haben sich die Krawatte doch selbst ausgesucht«, entgegnete Diana schmunzelnd.
»Haben Sie die Auswahl gesehen? Da war eine schrecklicher als die andere!« Jonathan lächelte sie breit an. »Warten Sie einen Moment, ich frage ihn gleich. Mit einem entsprechenden Obolus sollte er Ihren Wunsch erfüllen.«
Bevor Diana einwenden konnte, dass er, wenn er den Türsteher schon bestechen wollte, ihr Geld nehmen sollte, war er schon weg.
Nicht mal zehn Minuten später hielt Diana eine Kopie des Fotos in ihren Händen. Für zwanzig Dollar hatte sich der Türsteher bereit erklärt, das Bild persönlich abzuhängen und seinen Posten zu vernachlässigen, um eine Kopie zu ziehen. Eine Kopie, die außerordentlich gut war.
»Das war viel zu teuer!« Diana sah Jonathan vorwurfsvoll an.
»Finden Sie? Ich glaube, es war ein angemessener Preis dafür, dass Sie jetzt eine weitere Spur haben. Oder zumindest wissen, wie Ihr Vorfahr ausgesehen hat.«
Versonnen blickte sie auf das Bild. Das war sie nun, die feine Gesellschaft der Tee- und Handelsbarone. Wie deutlich zu erkennen war, hatte sich der Clubraum nur minimal verändert, vorwiegend durch Renovierungen. Doch im Großen und Ganzen war er wie damals.
Was hast du Grace nur angetan?, fragte sie in Gedanken Henry Tremayne, während sie mit dem Finger über sein Gesicht fuhr. Was hat dazu geführt, dass du mit deiner Tochter gebrochen und sie enterbt hast …
Den Rest des Abends verbrachte sie mit Jonathan im Club bei Eistee und einem leichten Imbiss, der vorwiegend aus Obst der Region bestand. Ihr Thema, die Plantage und das, was vermutlich dort vorgefallen war, schien unerschöpflich, und erst als sie dezent darauf hingewiesen wurden, dass der Club geschlossen werden würde, dachten sie ans Zubettgehen.
Obwohl es eigentlich nicht nötig gewesen wäre, begleitete Jonathan sie bis zu ihrem Zimmer. »Man kann ja nie wissen, welch unmoralische Strolche einer Lady zu dieser Stunde auflauern.«
Lachend hatte sie ihn daran erinnert, dass sie nicht mehr zu Zeiten Henry Tremaynes lebten – obwohl sie zugeben musste, dass in diesem Hotel der Eindruck entstand, die Zeit sei stehengeblieben.
Als Diana sich aufs Bett legte, hörte sie, wie Regen gegen die
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