Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
wohin er gehen musste.
Zornig und auch etwas gespannt, fingerte er eine Xylitol-Kaugummidose aus einer Wurzelhöhle, entnahm ihr eine Prepaid-SIM-Karte und setzte sie in sein Handy ein.
Die Arbeit gegen einen schwergewichtigen Feind erfordertevon der Polizei entsprechend schwere Geschütze. Für Riku war das Fakt. Jeder Vater, jede Mutter, deren Kind davor bewahrt wurde, Drogen zu nehmen, würde ihm da mit Sicherheit zustimmen. Für Riku war es außerdem Fakt, dass das Polizeigesetz viel zu streng war und die Kriminellen begünstigte. Schlecht verfasste Gesetzte blieben bloß Worte auf Papier. Im richtigen Leben waren andere Maßnahmen nötig. Man musste schlicht und einfach vom Wort zur Tat übergehen.
Er schrieb auf Russisch eine kurze SMS an Sergej in Kotka: HALTE DICH BEDECKT.
Es ärgerte ihn, dass Mira von seinem Kontakt wusste. Bei einem Seminar in Hyvinkää hatte sie mit ihm darüber reden wollen, und sie waren in sein Hotelzimmer gegangen, um sicherzustellen, dass keiner der Polizeikollegen sie hörte. Als sie nebeneinander auf dem Bettrand saßen, wurde Riku plötzlich die Situation bewusst. Was, wenn jemand gesehen hatte, wie sie zusammen in sein Zimmer gegangen waren? Das Risiko eines Missverständnisses war zu hoch. Mira war Rikus Meinung gewesen und hatte auf der Stelle sein Zimmer verlassen.
Dabei war es nur verständlich, dass sie mit ihm über ihre Lage hatte sprechen wollen: Immerhin musste sie das brisante Wissen um Rikus Informanten vor ihrem eigenen Ehemann, dem Dezernatsleiter, verheimlichen. Würde Markku Jalava davon erfahren oder das Ganze gar an die Öffentlichkeit gelangen, käme es zu einem Eklat.
Aber Mira war ihm gegenüber nicht nur loyal, sie schien auch ein gewisses Interesse an ihm gefunden zu haben. Dies schloss er aus vielen Kleinigkeiten: etwa aus der Art, wie sie ihn bei Gesprächen am Kaffeetisch beobachtete, aus ihrem Tonfall ihm gegenüber und wie sie sich nach seinen Wochenendaktivitäten und seiner Freizeit erkundigte. Aber bisher war Riku nicht fähig gewesen, sich über seine möglichen Gefühle für Mira klar zu werden, denn die Trennung von Katja und dieSorge um Leo beanspruchten ihn so sehr, dass für andere Gedanken wenig Raum blieb.
Er legte die SIM-Karte ins Versteck zurück und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.
Früher hatte er geglaubt, zu allem fähig zu sein, bis er sich bei der Gerichtsverhandlung die Finger verbrannt hatte. Seitdem war er vorsichtiger und misstrauischer. Es gab bei der Polizei jemanden, der ein schmutziges Spiel mit ihm trieb, aber er wusste nicht, wer oder warum.
Überall waren die Lichter erloschen, die Einfamilienhaussiedlung lag nun in nächtlicher Stille da. Andrej Nowikow sah, wie an dem Auto, das vor dem Haus der Aros geparkt war, die Tür geöffnet wurde und ein Polizist in Jeans ausstieg.
Das war der Augenblick, auf den Nowikow gewartet hatte. Rasch veließ er ebenfalls den Wagen und schloss lautlos die Fahrertür.
Auf dem großen Fernsehbildschirm lief ein internationaler Nachrichtensender.
» Die bekannte russische Journalistin und Dissidentin Vera Dobrina ist in Finnland ermordet worden …«
Die Nachricht weckte kein besonderes Interesse im Barackendorf der Baustelle Olkiluoto, wo in den Freizeiträumen Arbeiter aus einem Dutzend Länder in Trainingshosen beisammensaßen. Sie alle gehörten der bis zuletzt in Finnland verbleibenden Testgruppe an. Lautstarke Kommentare und Ausrufe in unterschiedlichen Sprachen hallten von einem Raum zum anderen, auf den Tischen standen Bierdosen, einige Männer spielten Karten, manche lasen.
Didier Khouar drehte den Computerbildschirm so, dass man vom Billardtisch aus nicht daraufschauen konnte. Dann schrieb er auf Französisch eine Mail in den Niger: »Wie geht es meinem Vater?«
Unruhig wartete er auf die Antwort.
Die Zeit verging. Der Lärm aus dem Fernsehraum zerrte an seinen Nerven.
Schließlich kam die Antwort.
Es tut mir leid, aber dein Vater ist letzte Nacht gestorben.
Didier starrte stumm auf die Worte, aber die Nachricht überraschte ihn nicht. Sein Vater war seit Monaten in schlechter Verfassung gewesen und während der letzten zwei Wochen deutlich schwächer geworden.
Didier holte tief Luft und schloss die Augen. Es tröstete ihn immerhin zu wissen, dass sein Vater in den letzten Tagen von Jean Bizard, einem Arzt, der zur Organisation »Sherpa« gehörte, gut versorgt worden war. Von dem Mann, der jetzt auch am anderen Ende der Internetverbindung saß, in einer
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