Die schöne Betrügerin
Lebenstagen befasst gewesen, um Phillipas Neugier ihr Unbehagen überhaupt zu bemerken.
Vor Rastlosigkeit fast aus der Haut fahrend, hatte Phillipa eines Abends das stickige Zelt verlassen, nachdem ihre Mutter in apathischen Schlaf gefallen war. Sie hatte eigentlich nicht allein nach draußen gedurft, doch das Beduinenlager hatte verlassen ausgesehen, und die Luft draußen schien ihre wirren Gedanken abzukühlen.
Nachdem sie ein paar Minuten lang keine Menschenseele gesehen hatte, fühlte sie sich sicher genug, um den Vorplatz des Gästezelts zu verlassen und durch den Sand zu wandern. Sie achtete darauf, das Zelt im Blick zu behalten, doch die Wüste rief nach ihr.
Die Sterne über ihr verblüfften sie mit ihrer Vielzahl und ihrer Klarheit, obwohl sie den Himmel auf ihren Reisen schon von Bord vieler Schiffe gesehen hatte. Es war, als hätte sich ein Krug voller Diamanten über den Himmel ergossen.
Ihre Sorgen, ihre Einsamkeit und ihr nie enden wollender Kummer legten sich im Angesicht des Sternenglanzes. Was scherte all das die Sterne? So mancher hätte sich vielleicht klein gefühlt, doch Phillipa fühlte sich befreit, weil sie begriff, dass ihre Existenz nur ein flüchtiger Gedanke war, verglichen mit der ewigen Pracht.
Dann hatte sie die Musik gehört.
Sie fühlte sich unbeschwert, lief leichtfüßig den Kamm einer Wanderdüne entlang und spähte zu den Männern hinunter, die sich im Kreis um das Feuer versammelt hatten. Von den Flammen stieg Rauch auf, und Phillipa konnte an ihrem Aussichtspunkt auf der Düne den scharfen Geruch brennender Kräuter riechen.
Einer der Männer hatte eine Trommel zwischen den Knien und seine Hände bewegten sich schneller, als das Auge folgen konnte. Das Getrommel ließ ihr Herz sprunghaft klopfen, bis es sich den fliegenden Fingerspitzen auf dem straff gespannten Trommelfell ergab, sich dem Rhythmus ergab.
Der unheimliche Ton einer Flöte neckte den Trommelschlag, intensivierte ihn, als es ihn zu übertönen drohte. Die Spannung stieg, die fremdartige Musik überrollte alle Sinne und fesselte ihre Konzentration. Dann hörte Phillipa zart Glocken erklingen, als läuteten kleine Elfen ein winziges Glockenspiel.
Das Geläut setzte einen Kontrapunkt zu Flöte und Trommel, und Phillipa nahm den Rhythmus wahr – wie sie Rhythmus nie zuvor erfahren hatte.
Das Blut toste durch ihre Adern. Ihr Herz pochte hilflos im Pulsschlag der Musik.
Dann kam die Tänzerin.
Einen Moment lang hielt Phillipa sie für ein Zauberwesen, denn sie erschien wie heraufbeschworen aus einem Schleier aus Rhythmus und Rauch.
Ihr Körper war üppig, das tiefschwarze Haar reichte ihr bis an die Kniekehlen. In ihrer wilden Pracht war sie fast nackt, trug wenig mehr als verschlungene Schleier mit klimpernden Münzen.
Phillipa hatte geglaubt, dass nichts aufregender sein konnte, als der bloße Anblick dieses exotischen Wesens…
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Bis das Wesen zu tanzen begann. Der geschmeidige Schwung der braunen Gliedmaßen im Feuerschein… die Bewegung des schockierend nackten Oberkörpers… das Aufblitzen nackter Füße und Schenkel unter den Schleiern… all das ließ ihr vor Verwirrung schwindlig werden.
Die Frau trug ihre nackte Haut, wie eine Frau aus Phillipas Welt ein edles teures Kostüm getragen hätte – voller Selbstvertrauen und mit einem Anflug von Überheblichkeit.
Ihr Gehabe verstieß so sehr gegen alles, was man Phillipa je über Weiblichkeit beigebracht hatte, alles, was sie selbst erfahren hatte, dass sie ihren entsetzt-faszinierten Blick nicht von der Tänzerin lösen konnte. Die Frau da unten sah frei aus, wie Phillipa sich unter dem Sternenhimmel gefühlt hatte. Sie schien tapfer, stark und alles andere als verloren.
Ein neues Bewusstsein ergriff ganz langsam von der fünfzehnjährigen Phillipa Besitz. Sie war jetzt auch eine Frau. Sie hatte Gliedmaßen, einen Oberkörper und einen Busen. Was, wenn alles, was sie je gelernt hatte, falsch war? Was, wenn der Körper gar nicht dazu bestimmt war, versteckt zu werden, bedeckt zu werden, peinlich zu sein…
Was, wenn sie wie diese Tänzerin sein konnte, frei und tollkühn und voller Kraft?
Sie hatte stundenlang dort oben auf der Düne gelegen – eine kleine Gestalt in properem weißem Musselin, der im Sternenlicht leuchtete. Sie hatte über die Frau nachgesonnen, die sie eines Tages sein würde.
Am Tag darauf hatten die Atwaters das Beduinenlager verlassen. Phillipa hatte nie erfahren, ob ihre Eltern von ihrem nächtlichen Ausflug erfahren
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