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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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als sei ihm die Nase zu schwer, durchquerte er hastig den riesigen Salon von einem Ende zum anderen, stieß zuweilen gegen einen Gast und entschuldigte sich, ohne dass dies je zu etwas führte. Mit diesen rasanten Diagonalen tarnte er seine Isolation, indem er stets so tat, als müsse er eiligst zu einem Bekannten, der ihn dort drüben, am anderen Ende des Salons, erwartete. Damit beeindruckte er allerdings niemanden. Wenn Benedetti ihm begegnete und nicht so tun konnte, als habe er ihn nicht gesehen, hielt er ihn mit einem fröhlichen prophylaktischen »Geht’s gut?« auf Distanz und überließ ihn sogleich wieder seinen geschäftigen Märschen. Und so machte der Doktor der Sozialwissenschaften und flinke ewige Jude sich erneut auf den Weg, unternahm im Exil eine weitere unnütze Reise und strebte mit der gleichen Eile dem Buffet zu, wo ihn ein tröstendes Sandwich erwartete, sein einziger gesellschaftlicher Kontakt und sein einziges Recht auf diesem Cocktailempfang. Zwei Stunden lang, von sechs bis acht, zwang sich der unglückliche Finkelstein so zu einem Marsch von mehreren Kilometern, von dem er allerdings, wenn er heimkehrte, seiner Frau nichts erzählte. Er liebte seine Rachel und behielt seine Demütigungen für sich. Warum diese unermüdlichen Wanderungen, und warum verweilte er so lange bei diesen bösen Menschen? Weil ihm dieses Recht auf den jährlichen Cocktailempfang viel bedeutete, weil er sich nicht geschlagen geben wollte, aber auch, weil er immer noch auf ein Wunder wartete, ein Gespräch mit einem Menschenbruder. Lieber Finkelstein, harmloser und so zur Liebe bereiter Bruder, Jude meines Herzens, hoffentlich bist du jetzt in Israel unter den Deinen, unter den Unseren, endlich begehrt.

    Um halb acht erschien Sir John Cheyne, der Generalsekretär des Völkerbundes, leicht beschwipst. Wie eine Ballerina tänzelte Benedetti sogleich mit vor Liebe verklärtem Gesicht auf ihn zu. Diese Liebe war nicht gespielt, denn Benedetti war so sehr ein Gesellschaftstier, dass er jeden Mächtigen, der ihm nützlich sein könnte, ehrlich liebte. Nur ehrliche Gefühle lassen sich wirkungsvoll, das heißt mit dem größtmöglichen Profit, ausdrücken. Und obendrein hat man ein ruhiges Gewissen. Ein zu großer Mistkerl, um unehrlich zu sein, war Benedetti sogar allein vor seinem Spiegel überzeugt davon, den Generalsekretär zu lieben und für einen großen Mann zu halten. Mit der gleichen aufrichtigen Hingabe hatte er den vorherigen Generalsekretär geliebt. Doch als dieser zurückgetreten war, hatte er ihn augenblicklich vergessen, so groß war seine Begeisterung für Sir John, dessen Fotografie in seinem Büro schon am nächsten Tag diejenige des Vorgängers ersetzt hatte.

    Jetzt sprach Sir John mit Benedetti und hatte ihn ganz vertraulich am Arm gefasst. Diese Berührung des großen Mannes erfüllte den Untergebenen mit heißer Dankbarkeit. Wie Adrien Deume ein paar Wochen zuvor, ging er wie eine überwältigte Jungfrau am Arm des geliebten Vorgesetzten, verwirrt von so viel Güte und Einfachheit, stolz und schamhaft, geweiht durch den erhabenen Arm, von Zeit zu Zeit den Blick zu seinem Chef erhebend, einen Blick voll religiöser Inbrunst. Denn hinter der eigennützigen Liebe für den großen Chef verbarg sich eine andere Liebe, eine entsetzliche Liebe, eine wahre und uneigennützige Liebe, die verabscheuungswürdige Liebe der Macht, die weibliche Anbetung der Stärke, eine animalische Unterwürfigkeit. Schluss, Schluss jetzt mit dieser Bande, ich habe genug von ihr gesehen.

XXVII

    Frau Deume saß in ihrem Zimmer vor ihrem Sekretär und erledigte die liegengebliebene Korrespondenz, während sie zur Stärkung mit grausamen kleinen Bissen an einer Brezel knabberte. Sie hatte gerade ihren letzten, an ein befreundetes Ehepaar in Lausanne gerichteten Brief unterzeichnet, den sie mit ihrer Lieblingsformel beendet hatte: »Von Haus zu Haus senden wir unsere herzlichsten Grüße aus.« (Dieses »von Haus zu Haus« hatte sie übernommen, nachdem sie es am Ende eines Briefes von Madame Rampal gelesen hatte. »Das ist originell«, pflegte sie zu erklären, »es ist präzise und sagt, was es sagen soll.« Worauf ihr Mann hinzufügte: »Und außerdem ist es hübs, denn es reimt sich.«)
    Nachdem sie den Umschlag mit der Zunge befeuchtet und zugeklebt hatte, nahm sie ihre Strickarbeit wieder auf, während Herr Deume, auf einem Stuhl stehend, seine Wasserwaage auf den Spiegelschrank legte, um sich zu vergewissern, dass er

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