Die Schöne des Herrn (German Edition)
erwartete, und der sich so viel Mühe mit seinen Schulaufsätzen gegeben hatte. Er betrachtete ihn mitleidig, nickte und lächelte ihm sanft zu, mit der Sanftheit einer Frau.
»Armer Kleiner«, sagte er zum Spiegel.
Sich beschäftigen, ins normale Leben zurückkehren. Eine Pfeife? Nein, die Pfeife war für glückliche Stunden da, wenn sie ihn im Sekretariat besucht hatte. Da hatte er sich wichtig getan, der arme Trottel, der nicht geahnt hatte, was sich da zusammenbraute. Überall enganliegend, das Kleid gestern Abend. Besonders eng am verlängerten Rücken. Eng anliegend für den anderen. Er streichelte sich vor dem Spiegel die Wange. Jawohl, jemand liebte ihn, streichelte ihm die Wange. Er streckte die Zunge heraus, um zu sehen, ob sie belegt war. Jawohl, jemand kümmerte sich um ihn. Er entdeckte einen Mitesser auf der Nase, drückte ihn aus, betrachtete den kleinen fetten Wurm auf seinem Fingernagel und zerquetschte diesen kleinen Mistkerl. Dem Kerl ihren Hintern zeigen war jetzt ihr Lebenszweck. Er öffnete das Fläschchen Eau de Cologne und atmete den Duft ein, um wieder Geschmack am Leben zu gewinnen. Dann seifte er sich die Hände ein. Wer weiß, wenn dieses Stück Seife fast aufgebraucht und ganz dünn sein würde, käme sie vielleicht zurück. In zwei Monaten, in drei Monaten. Verletzt und enttäuscht würde sie sich in seine Arme flüchten, und er würde sie an sich drücken und sie trösten. Flüsternd versuchte er die verschwundene Stimme nachzuahmen:
»Er hat mich gequält, ich komme zu dir zurück.«
Er setzte sich abermals, nahm ein Blatt Toilettenpapier, drehte es zu einem Rohr, hielt es an sein Auge, wie ein Fernglas, und ließ es fallen. Nein, er würde sein Testament nicht ändern, sollte der Kerl doch davon profitieren. Dann würde sie den moralischen Wert des Mannes erkennen, den sie verlassen hatte. Er zog nacheinander weitere Toilettenpapierblätter aus dem Spender. Von Herzen, mit Schmerzen, über alle Maßen, bis zum Wahnsinn. Bis zum Wahnsinn, das ging ja aus dem Brief hervor. Immer »er«, immer »er«, wenn sie von dem Kerl sprach. Dermaßen verliebt, dass sie überhaupt nicht merkte, wie grausam sie war.
Voller Grausamkeit dieser Brief. Grausam, die Aufschläge des Regenmantels zu streicheln. Ihm streichelte man nur die Rockaufschläge. Grausam, ihn »mein Liebling« genannt zu haben. Grausam, ihm gesagt zu haben, dass im Kühlschrank alles sei, was er für heute brauchte. Aber wenn dann morgen nichts mehr im Kühlschrank sein wird, kann der Liebling ruhig krepieren. Sie fand es schrecklich, ihm wehzutun, aber das würde sie nicht daran hindern, diese Nacht mit ihrem Kerl zu verbringen. Mit den Kollegen zu Mittag essen, als ob das etwas ändern würde! All das war die Güte der Herzlosigkeit. Sie hat das Bedürfnis, glücklich zu sein! Und er, hatte er vielleicht nicht das Bedürfnis, glücklich zu sein?
Er faltete den Brief auseinander, unterstrich die Grausamkeiten und setzte Ausrufungszeichen an den Rand. Schade, dass er keinen Krebs hatte. Wenn er Krebs hätte, wäre sie ihm nicht davongelaufen, dann hätte er noch zwei oder drei gute Jahre mit ihr gehabt. Unten auf dem Tischchen vor dem Sofa hatte noch der goldene Drehbleistift gelegen, den er ihr geschenkt hatte. Grausam, ihn dagelassen zu haben, diesen Zeugen der Schweinereien auf dem Sofa mit dem anderen. Er zog die Augenbrauen hoch und lächelte. Jawohl, mit dem Absatz hatte er diesen goldenen Bleistift zertreten, und anschließend hatte er auf das Sofa gespuckt. Recht so. Jetzt siehst du, wie weit es mit mir gekommen ist.
»Ich habe Hunger«, sagte er zum Teddybären. »Komm, wir gehen futtern!« Als er, Patrice unter dem Arm, aus der Küche zurückkam, breitete er eine alte Nummer einer Frauenzeitschrift über den Schemel und legte etwas Brot und Knoblauchwurst, das Lieblingsessen Mariettes, darauf. Mit aufgeknöpfter Hose setzte er sich auf die Klobrille, pellte die Wurst, wickelte etwas Toilettenpapier darum, um sie besser in den Fingern halten zu können, biss hinein und lächelte dem Teddybären zu, der ihm gegenübersaß. Das Essen war ihm Gesellschaft, Trost. Widerlich, Knoblauchwurst zu essen, während man auf der Toilette saß? Wenn schon. Da ihn niemand liebte. Er hatte das Recht dazu.
Über die Zeitschrift gebeugt, die Wurst in der einen, das Brot in der anderen Hand, las er die Anzeigen und ergötzte sich daran. »Die Monatshygiene der modernen Frau. Die Feminatampons sind absolut unsichtbar und werden
Weitere Kostenlose Bücher