Die Schöne des Herrn (German Edition)
liebenswürdigem und argwöhnischem Ton. Da die Antwort ja lautete, lächelte er herzlich, denn er liebte die Beamten, die einen Termin hatten. Während Adrien zu ihr zurückging, erhob sich Saulnier und ging mit priesterlicher und von Bedeutsamkeit und Respekt verklärter Würde zum Kabinettschef, um Herrn Deume zu melden. Sie nahm die Hand ihres Gemahls, damit er endlich aufhörte, seine Jacke auf- und zuzuknöpfen. Er bemerkte es nicht einmal.
»Was für ein Gefühl hast du?«, fragte er.
Er hörte ihre Antwort nicht, die im Übrigen negativ war. Sieben Uhr siebzehn. Plötzlich hatte er das Gefühl, der U.G.S. habe von seinen samstagvormittäglichen Abwesenheiten Wind bekommen. In panischer Angst setzte er sich neben sie auf einen der Sessel aus geflochtenem Leder, eine Spende der Südafrikanischen Union. Seine Knie zitterten, während er sich unaufhörlich leise zuflüsterte, ich sitze auf einer Nilpferdhaut, Nilpferdhaut, Nilpferdhaut. Mein Gott, und der Krankenurlaub in Valescure! Wenn ihn nun jemand am Roulettetisch in Monte Carlo gesehen und verpetzt hatte!
Sieben Uhr neunzehn. Der Amtsdiener kam auf ihn zu, er erhob sich mit zuckenden Lidern, demütig vor diesem Untergebenen, der den U.G.S. täglich sah und über dem die Sonne des Herrn strahlte. »Also, ich gehe jetzt«, sagte er zu Ariane, »du wartest doch hier auf mich, nicht wahr?« Nach dieser Unterredung wollte er sie in seiner Nähe haben, als Trösterin oder als bewunderndes Publikum, je nachdem.
Doch Saulnier bat ihn nur, sich noch etwas zu gedulden, der Herr Untergeneralsekretär sei noch in einer Besprechung mit dem englischen Botschafter, aber es würde sicher nicht lange dauern, denn der Herr Botschafter müsse anschließend noch den Herrn Generalsekretär aufsuchen. Angesichts so viel Größe lächelte Adrien Deume Saulnier demütig zu, hörte ihn durch einen Nebel von dem herrlichen Wetter heute reden und von dem hübschen kleinen Landhaus, das er gerade in Corsier erworben habe. Ach, die Natur sei doch das einzig Wahre, frische Luft sei für die Gesundheit unerlässlich, und so ruhig. Der Amtsdiener wollte zu diesem jungen Mann, der vielleicht dem Kabinett zugeteilt werden würde, liebenswürdig sein. Adrien lauschte den freundlichen Worten Saulniers, ohne sie zu verstehen, und nachdem dieser sich vergewissert hatte, einen zukünftigen Bundesgenossen und möglichen Beschützer gefunden zu haben, kehrte er zu seinem Roman zurück.
Einige Minuten später schreckte gedämpftes Läuten den Amtsdiener auf, der sich diensteifrig und eiligen Schrittes in das Büro des Untergeneralsekretärs begab. Er kam sofort wieder heraus und hielt die Tür des Allerheiligsten offen. »Herr Deume«, rief er mit gutmütigem, aber gewichtigem Ernst und lächelte dabei salbungsvoll und komplizenhaft zugleich, als wollte er sagen: »Wir beide verstehen uns, Sie wissen ja, dass ich Sie schon immer sehr mochte.« Er hielt mit der Rechten die Türklinke, verneigte sich leicht und beschrieb mit der linken Hand eine runde und gewichtige Geste, mit der er diesem so geschätzten jungen Mann ausdrücken zu wollen schien, dass er sich glücklich schätze, ihn eintreten zu lassen, und mehr noch, dass es ihm ein Vergnügen bereite, ihm dabei behilflich zu sein.
Adrien Deume hatte sich sofort erhoben, aber jetzt verspürte er plötzlich erneut ein gewisses Bedürfnis. Mein Gott, schon wieder! Sei’s drum, er musste es aushalten. Er knöpfte ein letztes Mal seine Jacke zu, knöpfte sie aus verschiedenen, ihm unbekannten Gründen zu – weil die so geschlossene Jacke ihm stärker die eigenartige Gewissheit gab, mondän zu sein; weil er bei der Anprobe eines Anzugs bei seinem Schneider immer fand, dass die zugeknöpfte Jacke besser seine geliebte Taille hervorhob und ihn verführerischer machte; weil eine zugeknöpfte Jacke eine letzte Schutzhülle ist; weil in einem Kampf ein Mann mit lose an ihm flatternder Kleidung immer im Nachteil ist; weil Adrien als Sechsjähriger über eine Strafpredigt seiner Tante, die ihn bei »unanständigem Betragen« mit der kleinen Nachbarin überrascht hatte, zu Tode erschrocken gewesen war; weil er es in diesem feierlichen Augenblick nicht wagte, die Knöpfe seiner Hose einer letzten Inspektion zu unterziehen, und die zugeknöpfte Jacke im Falle einer zwar unwahrscheinlichen, aber dennoch nicht völlig ausgeschlossenen Ungehörigkeit die Schmach verdecken würde.
Seinem Schicksal entgegengehend, zog er den Knoten seiner Krawatte mechanisch
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