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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Dietsch?«, fragte er, und sie senkte den Kopf, hatte nicht mehr die Kraft zu leugnen. »Während dein Mann auf Dienstreise war?«
    »Ja«, hauchte sie.
    »Warum Marseille?«
    »Er hat hier ein Konzert dirigiert. Ich kannte dich damals noch nicht.«
    »Er hat ein Konzert dirigiert, wie wunderbar! Wunderbar, dass er die von einem anderen geschriebenen Noten zu lesen versteht! Wie dirigierte er eigentlich, nahm er dabei sein Ding in die Hand? Verzeihung, seinen Taktstock. In welchem Hotel seid ihr abgestiegen? Schnell, antworte!«, befahl er, und erneut fasste sie sich an die Stirn, schnitt die Grimasse, die das Schluchzen ankündigt. »Hier? In diesem Hotel? Zieh dich an.«
    Sie schlug die Decke zurück, setzte die nackten Füße auf den Teppich, schlüpfte schlafwandlerisch in ein Unterkleid und Strümpfe, brauchte eine Weile, um die Strumpfbänder zu befestigen, bekam das Schloss ihres Koffers nicht zu und schloss die Gurte. Mein Gott, sie war mit einem Wahnsinnigen zusammen, einem echten Wahnsinnigen, der sich selbst mit den Fäusten geschlagen hatte, der stolz auf sein verletztes geschwollenes Auge war. Und er blickte sie mit seinem gesunden Auge an. In ebendiesem Hotel also mit Dietsch, vielleicht hatten die beiden idealistischen Karpfen ihre Sprünge sogar im selben Bett gemacht, und die Bettgestellfedern hatten so gekracht, dass der Hoteldirektor händeringend gekommen war, um sie anzuflehen, sein Mobiliar nicht kaputt zu machen! Und da sie ihre Sprünge fortgesetzt hatten, hatte der Direktor sie rausgeschmissen! Bettgestellfedernruinierer, Matratzenruinierer, allen Hoteliers in Marseille bekannt, auf der schwarzen Liste der Marseiller Hotels! Woraufhin sie zweimal nieste, und er hatte Mitleid, stechendes Mitleid, Mitleid mit diesem zerbrechlichen, der Krankheit und dem Tod versprochenen Geschöpf. Er nahm sie bei der Hand.
    »Komm, Liebling.«
    Sie gingen die Treppen hinunter, Hand in Hand, jeder mit seinem Koffer, er mit einem Mantel über seinem Pyjama, sie im Unterkleid unter ihrem Regenmantel. Im Erdgeschoss stellte sie ihren Koffer ab, zog sich mechanisch die heruntergerutschten Strümpfe hoch, während der Portier nicht wenig über den Gast mit dem wirren Haar staunte, der ihm mit der Krawatte in der Hand erklärte, das Splendide sei zu alt für seinen Geschmack und er wolle in ein anderes Hotel umziehen, so jung wie möglich. Ein Geldschein überredete ihn, ihm das Bristol zu empfehlen, gerade erst eröffnet.
    »Wann erbaut?«
    »Im vorigen Jahr, Monsieur.«
    »Ausgezeichnet«, sagte Solal und gab ihm noch einen Geldschein.
    Die Koffer wurden in ein Taxi geladen. Es war der Opa von vorhin mit seinem weißen Spitz. Aus Arianes Koffer, der stark nach Eau de Cologne roch, hing ein halber Strumpf heraus. Er blickte sie verstohlen an. Sie verlassen, sie von seiner Gegenwart befreien? Doch was würde sie dann tun? Ihre Liebe war ja alles, was der Unglücklichen geblieben war. Und außerdem liebte er sie. O der herrliche erste Abend. »Schonen Sie mich«, hatte sie ihm an jenem Abend gesagt. Aber hatte Dietsch sie etwa ein paar Stunden zuvor geschont? Er würde es nie erfahren.
»Twoja schena«
, hatte sie an jenem Abend zu ihm gesagt,
»twoja schena«
, und ein paar Stunden zuvor noch ihr Mund auf dem eines Kerls mit weißen Haaren. Onduliert noch dazu! Ja, ihr Mund, der Mund hier neben ihm im Taxi, exakt ebendieser Mund. Sie zitterte, seine Kleine, sie hatte Angst vor ihm. Was konnte er tun, damit sie nicht mehr litt? Wie konnte er gegen diese beiden ankämpfen, gegen ihre vereinten Unterleiber, gegen ihr ineinander verschlungenes Schamhaar? Versuchen, Abscheu vor ihr zu empfinden? Sich ihre zehn Meter Gedärme vorstellen? Sich ihr Skelett vorstellen? Sich die Nahrungsmittel vorstellen, die durch die Speiseröhre in ihren Magen rutschten? Und dann alles Übrige, einschließlich des Dickdarms? Sich ihre Lungen vorstellen, schwammig, rötlich, die Stücke minderer Qualität im Fleischerladen? Nichts zu machen. Sie war seine Schöne, seine Reine, seine Heilige. Doch seine Heilige hatte mit ihrer Hand ohne Ekel die Abscheulichkeit eines Mannes, die viehische Geilheit eines Mannes berührt. Was konnte er dafür, dass er sie ständig mit ihrem Mannsbild sah, ständig seine Heilige mit einem männlichen Affen sah, der sie nicht anekelte. Der sie nicht anekelte, und das war es, was ihn so verblüffte, so empörte. Ja, gewiss, zu ihm war sie nett, lieb und nett, liebte ihn, ging kilometerweit zu Fuß, um ihm Halva zu

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