Die schöne Parfümhändlerin
Freiheit geben. Wenn Ihr in Gefahr seid, wenn Ihr mich braucht, dann werde ich an Eurer Seite sein.“ Er zog den goldenen Rubinring von seinem Finger – einen Ring, wie ihn seine Mutter auf dem Portrait trug – und drückte ihn Julietta in die Hand. „Tragt ihn, und schickt ihn mir, wenn Ihr meine Hilfe braucht. Ich werde Euch immer hören.“
Julietta starrte auf den Ring, blutrot glühte er in der schwindenden Nacht. „Marcos …“, begann sie unsicher.
„Nein“, antwortete er, nahm den Ring und streifte ihn ihr über den Finger. Der Reif saß perfekt, das Gold war noch warm von seiner Haut. „Schweigt jetzt. Es ist schon spät. Ich sollte Euch zurück in die Stadt bringen.“
Marcos schmerzten die Arme, als er immer näher auf die Lichter Venedigs zuruderte. Doch er war glücklich über den altbekannten Schmerz. Er hielt ihn davon ab, über die Ereignisse der vergangenen Nacht nachzudenken.
Schweigend, wieder in ihren Umhang gehüllt und maskiert, saß Julietta ihm in der Dunkelheit gegenüber. Die Entscheidung, Julietta auf sein Schiff zu bringen, war in aller Eile gefallen, alser Ermano aus ihrem Laden hatte kommen sehen. An einen sicheren, weit entfernten Ort hatte er sie bringen wollen, an einen Platz, wo sie alleine sein und aufrichtig miteinander sein konnten.
Aufrichtig bis zu einem gewissen Punkt. Er hatte ihr nicht erzählt, was er im Dogenpalast erfahren hatte. Er hatte nichts über die namenlosen Kräfte von Hass und Habgier gesagt, die ihnen überallhin folgten und sie wie giftiger Nebel umwaberten. Zwar war Julietta überaus klug, aber sie war auch unberechenbar. Sie war gewiss gewohnt, verborgen hinter einer Maske inmitten der Gefahr zu leben. Was aber würde sie tun, wenn sie die Falle, die Ermano für sie ausgelegt hatte, entdecken würde?
Würde sie seine eigenen, sorgfältig vorbereiteten Pläne zunichtemachen? Ihn zwingen, zu eilig zu handeln? Noch wollte er nichts dem Zufall überlassen. Nicht jetzt, wo sie beide anscheinend in Gefahr waren.
Und doch! Er hatte sein Herz sprechen lassen, als er ihr sein Versprechen gegeben hatte. Sollte sie nach ihm rufen, dann wollte er sie in Sicherheit, in die Freiheit bringen. Er war mit kaltem Herzen nach Venedig gekommen, bereit, alte Schwüre zu erfüllen, Rache an Verbrechen der Vergangenheit zu nehmen. Darauf hatte er sich all die Jahre vorbereitet. Endlich hatte all sein Sehnen und Trachten in Erfüllung gehen sollen. Er hatte schon den Geruch von blutiger Rache in der Nase gehabt. Doch dann hatte er Juliettas Laden betreten, und mit einem Mal hatte sich alles verändert. Die Welt schwankte, und er konnte nichts dagegen tun.
Ob er mit ihr schlief oder ihre nackte Haut berührte, nichts konnte sein Verlangen nach ihr stillen. Ihn dürstete nicht nur nach ihrem Körper; ihr Herz, ihre Seele begehrte er. Aber selbst als sie ihn umarmt hatte, als sie sich ihm in seinem Bett hingegeben hatte, da hatte sie einen Teil von sich zurückgehalten. Er wollte all ihre Geheimnisse erfahren … auch wenn er seine noch nicht enthüllen konnte.
Unerwartet, wie ein Geschenk für ihn, war sie in Venedig aufgetaucht, mitten in einer dunklen Zeit, in einer Zeit, die Erfüllung und Zerstörung für ihn bedeutete. Das wollte er nicht verlieren. Und je öfter er mit ihr zusammen war, desto mehr begehrte er sie. Doch er wusste nicht, wie er sie halten sollte.
Marcos schüttelte den Kopf und legte sich kräftiger in die Riemen. Satt klatschte das Wasser gegen die Ruderblätter, sie entfernten sich von der See und näherten sich der Stadt. Julietta bewegte sich auf ihrem Sitz, nestelte an ihrer Kleidung, sodass Marcos den schweren Jasminduft, der den Falten ihres Umhangs entströmte, riechen konnte. Ihr Parfüm betäubte ihn.
War er verrückt? War das Liebe? Plötzlich verstand er ein bekanntes Gedicht, das er schon immer gemocht, aber nie begriffen hatte. Liebe als eine feurige Krankheit im Blut, ein Wahnsinn, der nur durch den Tod geheilt werden kann. Jetzt wusste er, was Juan Boscán mit diesem Vergleich gemeint hatte. Seine Liebe zu Julietta ließ sich nicht mit Vernunft erklären, sie war einfach da. Wie sie enden konnte, wusste er nicht. In ihrer Vereinigung – und damit dem Ende aller Geheimnisse – oder mit dem Tod?
„Danke, dass Ihr mir Euer Schiff gezeigt habt“, sagte sie leise. „Und dass Ihr mir diesen Ring gabt.“
„Ich habe es ehrlich gemeint, Julietta. Ruft mich, wenn Ihr mich braucht.“
Sie nickte und blickte auf ihre gefalteten
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